Zielvereinbarung ist Stressfaktor

http://www.arbeitsrecht.de/rechtsprechung/2012/07/26/mitbestimmung-arbeitgeber-muss-ueber-zielvereinbarungen-informieren.php

Arbeitgeber muss über Zielvereinbarungen informieren
Trifft ein Arbeitgeber mit seinen Kundenberatern Zielvereinbarungen, so muss er den Betriebsrat darüber unterrichten. Zielvereinbarungen stellen immer potentielle Stressfaktoren und damit Gesundheitsgefahren dar. Das geht aus einem Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm hervor.

Siehe auch: LAG Hamm, 09.03.2012 – 13 TaBV 100/10
 
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2012/13_TaBV_100_10beschluss20120309.html


I. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt 27.10.2010 – 7 ABR 86/09 – NZA 2011, 418; 23.03.2010 – 1 ABR 81/08 – AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 72) gehören zu den Aufgaben im Sinne der genannten Norm alle im Katalog des § 80 Abs. 1 BetrVG genannten allgemeinen Aufgaben, und zwar unabhängig vom Vorliegen spezifischer Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte. Denn die Unterrichtung soll es dem Betriebsrat ermöglichen, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich für ihn Aufgaben im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben und er zu ihrer Wahrnehmung tätig werden muss. Dabei genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Die Grenzen des Auskunftsanspruchs liegen erst dort, wo ein Beteiligungsrecht offensichtlich nicht in Betracht kommt.
II. Nach diesen Grundsätzen ist hier der Unterrichtungsanspruch des Betriebsrates in vollem Umfang gegeben. Denn entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin kann nicht festgestellt werden, dass für die reklamierten Auskünfte offensichtlich, also klar erkennbar, kein betriebsverfassungsrechtliches Beteiligungsrecht ersichtlich ist.
Im Gegenteil bedarf der Betriebsrat der erforderlichen Unterrichtung, um namentlich anhand des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, in jedem Fall aber im Rahmen des § 88 Nr. 1 BetrVG (vgl. Schaub/Vogelsang, 14. Aufl., § 154 Rn. 34) sachgerecht prüfen zu können, ob mit der Einführung sogenannter Zielvereinbarungen und Planungsübersichten für die betroffenen Firmenkunden- sowie A-, B- und C-Kundenberater im Bereich des Gesundheitsschutzes Gefährdungen oder sogar Schädigungen verbunden sein können (vgl. auch § 80 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 9 BetrVG).
1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates u.a. für Regelungen über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften. Solche ausfüllungsbedürftigen Rahmenvorschriften ergeben sich namentlich aus den §§ 3 ff. ArbSchG.
So besteht nach der Generalklausel des § 3 Abs. 1 ArbSchG u.a. die Pflicht des Arbeitgebers, auf die Gesundheit der Beschäftigten zu achten und Verbesserungen des Gesundheitsschutzes anzustreben. Dabei hat er sich nach § 4 Nr. 1 ArbSchG davon leiten zu lassen, dass Gefährdungen der Gesundheit möglichst vermieden bzw. kleingehalten werden. In dem Zusammenhang sind nach Möglichkeit nicht nur physische, sondern auch psychische Beanspruchungen zu vermeiden, in jedem Fall aber zu minimieren (vgl. MüArbR/Kohte, 3. Aufl., § 292 Rn. 23; Spinnarke/Schork, ASiR, § 3 Rn. 5 a). Dazu zählen z.B. ein hoher Termindruck sowie die Zunahme der Arbeitsintensität und des Anforderungsdrucks (Kollmer, ArbSchG, § 4 Rn. 25).

Auch in diesem LAG-Beschluss begegnen wir wieder dem vielleicht häufigsten Fehler bei Arbeitsschutzthemen: “… sondern auch psychische Beanspruchungen zu vermeiden, in jedem Fall aber zu minimieren …” ist falsch. Psychische Fehlbelastungen (und damit psychische Fehlbeanspruchungen) sind zu vermeiden, in jedem Fall aber zu minimieren. Ohne psychische Belastungen gäbe es keine Arbeit, und ohne psychische Beanspruchung bräuchten wir kein Gehirn.

Ursula von der Leyen: Beispiele zu Betriebsvereinbarungen

http://orf.at/stories/2125338/2125324/

… Von der Leyen kündigte an, nun zunächst mit einer Informationskampagne gezielt auf Unternehmen zuzugehen. Den Firmen müsse dabei klar werden, dass das Arbeitsschutzgesetz „ein sehr scharfes Gesetz“ ist. Auch sollten Beispiele zu Vereinbarungen in den Betrieben aufgezeigt werden. Im kommenden Jahr solle das Thema dann im Rahmen von Gesprächen zur Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutz-Strategie besprochen werden. Diese wird vom Bund, den Ländern und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung beraten. …

Endlich auch einmal eine Anerkennung der Betriebsratsarbeit. (Ich will ja nicht nur meckern.)
Die Liste der Arbeitsministerin muss sich allerdings an Dr. Gerays schon seit langer Zeit gepflegter Liste messen lassen: http://buero-fuer-arbeitsschutz.de/fuer-die-praxis/alles-auf-einen-blick/

Gestaltung von Betriebsvereinbarungen zur Gefährdungsbeurteilung

Bei der Gestaltung von Betriebsvereinbarungen zur Gefährdungsbeurteilung gibt es einen großen Spielraum. Nicht ohne Grund ist das Arbeitsschutzgesetz nur ein Rahmengesetz, das betriebsnahe Lösungen ermöglicht. Es macht keinen Sinn, sich gegen betriebsfremde Gängelei zu wehren, dann aber bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes nur auf bereits bekannte Lösungen zu vertrauen. (In vorgegebene Lösung flüchten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch, wenn sie sich gegenseitig nicht vertrauen.) Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer hier nicht kreativ sind, dann werden ihnen irgenwann einmal doch wieder fremdbestimmte Vorschriften übergestülpt, über die sie dann jammern, obwohl sie sich das selbst eingebrockt haben.
Einige Punkte, auf die Arbeitnehmervertretungen achten sollten:
Gleichartige Arbeitsbedingungen: Es ist organisatorisch und ökonomisch sinnvoll, für gleichartige Arbeitsbedingungen eine gemeinsame Gefährdungsbeurteilung zu erstellen. Achten Sie jedoch bei der Gestaltung der Betriebsvereinbarungen zur Gefährdungsbeurteilung darauf, dass auf spezielle Gefährdungen einzelner Arbeitsplätze oder Untergruppen von Arbeitsplätzen fallweise auch mit speziellen Gefährdungsbeurteilungen reagiert werden kann.
Gefährdungsbeurteilungen von Prozessen: Berauben Sie sich in einer BV zur Gefährdungsbeurteilung nicht der Möglichkeit, zusätzlich zu den Gefährdungsbeurteilungen, die Arbeitsplatzgruppen zugeordnet sind, auch Prozesse zu beurteilen. Mir sind hier noch keine Beispiele bekannt, aber eigentlich ist das eine logisch nachvollziebare Lösung, mit der die Nachteile der Zusammenfassung von Arbeitzplätzen kompensiert werden kann.
Gefährdungsbeurteilungen von Projekten: Gute Beispiele für die Gefährdungsbeurteilung von Projekten sind mir auch nicht bekannt. Aber auch eine solche Gefährdungsbeurteilung kann, kostengünstig aufbauend auf dem ohnehin notwendigen Risikomanagement von Prozessen, die Nachteile eines konventionellen Ansatzes der Zusammenfassung von Arbeitzplätzen kompensieren.
BV-Gestaltung als Projekt der Arbeitnehmervertretung: So eine Betriebsvereinbarung entsteht nicht von selbst. Das ist viel Arbeit auf oft ziemlich unbekanntem Terrain, und zwar zusätzlich zur täglichen Arbeit der Arbeitnehmervertretung. Planen Sie diese Arbeit und nehmen sie sich die Zeit, die Sie brauchen. Lassen Sie sich die Planung durch einen Beschluss im Betriebs- oder Personalrat absegnen. Die Planung ist besonders bei teilfreigestellten Arbeitnehmervertretern sehr wichtig.
(Dieser Artikel ist vielleicht noch nicht ganz abgeschlossen.)

Vereinbarung über das Anschreiben nicht vergessen

Vereinbaren Sie in Betriebsvereinbarungen auch, wie die Belegschaft über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung informiert werden soll.
Ist die Vereinbarung die Basis für Prozesse (z.B. Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement, Betriebliche Gesundheitsförderung, aber auch: Regelung der Privaten Nutzung des Internets), über die die Belegschaft vor ihrer Implementierung informiert werden soll, dann ist es wichtig, dass das Anschreiben an die Mitarbeiter ebenfalls Gegenstand der Betriebsvereinbarung ist.
Sind von den Mitarbeitern zu unterzeichnende Erklärungen in einem vereinbarten Prozess notwendig (z.B. Teilnahme am Betrieblichen Wiedereingliederungsmanagement, Kenntnisnahme von Regeln, Zustimmung zur Kontrolle der Internetnutzung usw.), dann sollten diese Erklärungen (Inhalt, Termine usw.) ebenfalls in der Betriebsvereinbarung geregelt und ggf. einzelvertragliche Abweichungen ausgeschlossen werden.

Was häufig in betrieblichen Vereinbarungen fehlt

Betriebsvereinbarungen zu Gefährdungsbeurteilungen
http://www.ergo-online.de/site.aspx?url=html/rechtsgrundlagen/mitbestimmung/regelung_gefhrdungsbeurteilung.htm
Regine Romahn

  • In den veröffentlichten Betriebs- und Dienstvereinbarungen fehlen häufig differenziertere Regelungen zur Beteiligung der Beschäftigten, die über allgemeine Informationen hinausgehen. Dies gilt insbesondere für aktive Beteiligungsformen und konkrete Mitwirkungsmöglichkeiten bei Entscheidungen. Dies könnte z.B. ein gemeinsamer Workshop oder Gesundheitszirkel sein.
  • Die Qualifizierung zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilung wird kaum thematisiert und geregelt. Dabei wäre es notwendig, für die einzelnen Zielgruppen Verantwortlichkeiten, Kenntnisse und Handlungskompetenzen festzulegen.
  • Nur selten wird der Faktor Zeit berücksichtigt. Im Betriebsalltag sind Gefährdungsbeurteilungen nicht schnell und beiläufig abzuarbeiten.
  • Die Aktualisierung von Gefährdungsbeurteilungen bezieht sich kaum auf Veränderungen, die durch politische und ökonomische Weichenstellungen bedingt sind. Der Arbeitsschutz muss aber derartige Bedingungen rechtzeitig im Blick haben.
  • Die Wirksamkeitskontrolle von Maßnahmen wird in den Vereinbarungen kaum behandelt. Da Verfahren und Methoden nicht vorgegeben sind, ist das ein wichtiger Gestaltungsbereich.
  • Die Dokumentation von Gefährdungsbeurteilung ist meist Gegenstand allgemein formulierter Regelungen. Nicht erwähnt wird die Dokumentation der eingesetzten Verfahren und Instrumente.
  • Die Beurteilung und Gestaltung psychischer und sozialer Belastungen stellt für die Betriebe ein besonderes Problem dar und wird häufig unzureichend berücksichtigt.

Ich habe hier Gestaltung hervorgehoben. Was in Betriebsvereinbarungen, die gestalten sollen, oft auch fehlt, sind eigene Ideen. Ich empfehle nicht, das Rad ständig neu zu erfinden, aber es ist hilfreich, sich außerhalb und innerhalb des Unternehmens mehrere Räder anzusehen.
Gerade im Arbeitsschutz geht es um betriebsnahe Lösungen. In Betriebsräten gibt es viele Erfahrungen mit externen Normen (Gesetze, Vorschriften usw.), die Betriebsräten helfen, Forderungen durchzusetzen. Die Komplexität des ganzheitlichen Arbeitsschutzes kann dazu verleiten, Zuflucht zu “bewährten” Lösungen zu nehmen, die außerhalb des Unternehmens durchgesetzt werden konnten. So werden Fragebogenaktionen zum Standard beim Einstieg in den Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung.
Zu leicht werden dabei Prozesse im eigenen Unternehmen übersehen, die bereits vorhanden sind und deren Beschreibungen (zumindest teilweise) gut für die Beschreibung und Beurteilung von Belastungen verwendet werden können. Das gilt zum Beispiel für Belastungen, die von Projekten und Prozessen (z.B. der Prozess der Leistungsbeurteilung) ausgehen und in Tätigkeitsstrukturanalysen beschrieben werden können.

Langer Weg zur Betriebsvereinbarung

http://www.slidefinder.net/N/Nick_Kratzer_Fallbeispiel_Konsumelektronik_Ein/22993502 (bzw. http://www.pargema.de/files/par090621_konferenz2009_wsiii_konsumelektronik_e2.ppt)

Arbeitsgruppe Gefährdungsbeurteilung

Wie ein Betriebsrat den Einbezug psychisch wirksamer Erbeitsbelastung in den Arbeitsschutz fördert, sollte er auch seinen Klienten im Unternehmen mitteilen:
„Zur Erarbeitung einer Betriebsvereinbarung zur ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung hat der Betriebsrat eine eigene Arbeitsgruppe (nach § 28a BetrVG) eingerichtet. Die Gefährdungsbeurteilung ist ein Instrument des Arbeitsschutzes und bezieht psychisch wirksame Belastungen mit ein. Dabei gilt: Beurteilt werden Arbeitsbedingungen, nicht die einzelnen Mitarbeiter. Die Gefährdungsbeurteilung ist eine der wichtigsten Instrumente des Arbeitsschutzmanagement unseres Unternehmens. Ohne es können im Arbeitsschutz keine Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlbelastungen beschlossen und umgesetzt werden. Mit Fragen und Anregungen zur Arbeitsgruppe können sie sich jederzeit an den Betriebsrat wenden.″