Mitbestimmung kaum Thema für die HK Hamburg

Die Handelskammer Hamburg bietet eine Broschüre Psychische Belastungen bei der Arbeit – Informationen für Unternehmen und eine Linkliste an. Die Titelseite der Broschüre ziert wieder eines dieser hochoriginellen Fotos gequälter Leute, in diesem Fall ein mit dem Kopf zwischen Betonklotz und Schreibtisch eingeklemmter Büromensch.
Aus der Broschüre:

Um psychische Belastungen der Mitarbeiter zu verringern und eine anhaltende Überbeanspruchung zu vermeiden, sind im Unternehmen zwei Ansatzpunkte möglich:

  • Maßnahmen auf betrieblicher Ebene:
    Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter durch den Abbau von Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz. Ziel ist es, ein möglichst gesundes und gesundheitsförderliches Arbeitsumfeld zu schaffen. (Verhältnisprävention).
  • Maßnahmen auf Mitarbeiterebene:
    Positive Beeinflussung des individuellen Verhaltens der Mitarbeiter bei Stress und deren Bewältigungsstrategien. Ziel ist es, Belastungen, sowohl aus dem privaten Umfeld als auch aus dem Arbeitsumfeld, abzubauen und Ressourcen zu stärken (Verhaltensprävention).

Man sollte hier nicht so tun, als ob Verhältnisprävention und Verhaltensprävention gleichrangig seien. Die Verhältnisprävention ist im Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben. Die Verhaltensprävention ist die Kür. Man kann sich ja mal überlegen, warum der Gesetzgeber die Verhältnisprävention vorschreibt und nicht die Verhaltensprävention. Beide sind wichtig, aber in welchem der beiden Fällen hat der Arbeitgeber mehr Verantwortung zu tragen?
Zu den Maßnahmen auf betrieblicher Ebene (also vorwiegend Verhältnisprävention) zählt die HK auch:

Beratungs- und Unterstützungsangebote für Mitarbeiter

  • Betriebliche Ansprechpartner benennen
  • Anlaufstelle für psychisch belastete Mitarbeiter im Unternehmen schaffen
  • Externe Unterstützung anbieten, zum Beispiel Employee Assistance-Programme, Sozialberater
  • Webportale zur Information der Mitarbeiter über Maßnahmen und Programme, die zur Steigerung des psychischen Wohlergehens durchgeführt werden

Bei den betrieblichen Ansprechpartnern und den Anlaufstellen empfehle ich den Personal- oder Betriebsrat (in der Hoffnung, dass dort genügend Kompetenz aufgebaut wurde). Employee Assistance-Programme und Sozialberater sind häufig eher verhaltenspräventiv orientiert. Sie widmen sich also eher der individuellen Psyche der Mitarbeiter.
Eine wichtige verhältnispräventive Maßnahme wird von Arbeitgebern immer wieder gerne vergessen: Ehrliche Arbeitsplatz- und Aufgabenbeschreibungen. Sie sind oft schon die halbe Miete, denn es ist einfach fehlbelastend, wenn Mitarbeiter ständig mehr Aufgaben haben, als diejenigen, die mit ihnen offiziell vereinbart wurden. So mancher Arbeitgeber möchte seine Mitarbeiter allerdings nicht für alle Aufgaben bezahlen, die sie erledigen und hat darum Schwierigkeiten, Jobs ehrlich zu beschreiben. Das ist meiner Erfahrung nach einer der häufigsten Gründe für psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz.
Als mitbestimmte Maßnahme nennt die HK Hamburg nur:

Betriebsvereinbarungen zu Sucht, Mobbing usw. schließen

Ansonsten sind die Arbeitnehmervertretung und ihre Mitbestimmung im Arbeitsschutz wider besseren Wissens kaum ein Thema ist für die HK, obwohl bei der Implementierung von Gefährdungsbeurteilungsprozessen die Mitbestimmung respektiert zu werden hat. Die Leser der Broschüre der HK erfahren nicht, dass Kriterien, mit denen zwischen Belastungen und Fehlbelastungen unterschieden wird, betriebsnah und mitbestimmt zu vereinbaren sind. Hier sind Betriebsvereinbarungen besonders wichtig, denn Unternehmen tun sich schon aus Haftungsgründen schwer damit, psychische Fehlbelastungen zu erkennen.
Dabei müssen Betriebsleitungen und Arbeitnehmervertretungen ja nicht jeden denkbaren Fall vorab behandeln. Sondern viel wichtiger ist es, in der Unternehmensorganisation Strukturen zu schaffen, mit denen Arbeitsplatzgruppen sinnvoll für eine Beurteilung psychischer Belastungen zusammengefasst werden können. Und für Projekte kann man schon in der Planungsphase im Rahmen des ohnehin erforderlichen Risikomanagements die möglichen Fehlbelastungen beschreiben. Daraus lassen sich dann blitzschnell Gefährdungsbeurteilungen für einzelne Arbeitsplätze von Menschen erstellen, die in mehreren Projekten mitarbeiten. Es gibt dann weniger unangenehme Überraschungen, was nicht nur den Mitarbeitern gut bekommt, sondern auch den Projekten.
In manchen Betrieben gibt es bereits dauerhaft eingerichtete paritätische Kommissionen, in denen auch für Einzelfälle mitbestimmt zwischen legitimen Belastungen und gefährdenden Fehlbelastungen unterschieden werden kann. Solch eine Komission kann sich dann auch mit Überlastungsmeldungen befassen, die die Mitarbeiter abgeben. (Man glaubt es kaum, aber es gibt immer noch Betriebe, die auf Überlastungsmeldungen am Arbeitsschutz vorbei sofort mit Herunterstufung in eine niedrigere Tarifgruppe reagieren. Spätestens wenn solche Fehler dann noch in Arbeitsschutz-Audits verschwiegen werden, wird es Zeit für den Betriebsrat, korrigierend einzugreifen.)
Arbeitgeber können es auch besser als die HK Hamburg: Hier erinnere ich wieder einmal an eine Veröffentlichung der Arbeitgebervereinigung BDA: Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz – Besonderer Schwerpunkt: psychische Belastung – Ein Praxisleitfaden für Arbeitgeber.
Link der HK Hamburg (nicht so gut): http://www.hk24.de/servicemarken/branchen/gesundheitswirtschaft/betrieb_gm/2455044/psychische_belastung_arbeitsplatz.html
Hansestadt Hamburg (schon besser): http://blog.psybel.de/kategorie/referenzen/behoerden/abs-hamburg/