Koalitionsvertrag: Ganzheitlicher Arbeitsschutz

https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf und http://www.spd.de/linkableblob/112790/data/20131127_koalitionsvertrag.pdf, Auszug:

Koalitionsvertrag
zwischen CDU, CSU und SPD
18. Legislaturperiode

Ganzheitlicher Arbeitsschutz
Der Schutz der Beschäftigten vor Gefahren am Arbeitsplatz und die Stärkung der Gesundheit bei der Arbeit ist ein wichtiges Gebot sozialer Verantwortung. Ein deutlicher Hinweis auf die Herausforderungen, die eine sich wandelnde Arbeitswelt für den deutschen Arbeitsschutz bedeutet, ist die drastische Zunahme psychischer Erkrankungen. Unser Leitbild ist ein ganzheitlicher, physische und psychische Belastungen umfassender Gesundheitsschutz bei der Arbeit. Die Zusammenarbeit mit der allgemeinen Gesundheitspolitik wird ausgebaut. Betriebliche Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz werden enger verknüpft. Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) wollen wir stärken und mehr Verbindlichkeit erreichen.
Gesundheitszirkel in den Betrieben haben sich in der Praxis als erfolgreicher Ansatz erwiesen. Wir wollen erreichen, dass in Unternehmen in Kooperation mit den gesetzlichen Krankenkassen solche Zirkel vermehrt eingerichtet werden. Wir werden die Entwicklung neuer Präventionskonzepte und betrieblicher Gestaltungslösungen bei psychischer Belastung in enger Zusammenarbeit mit den Trägern der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie vorantreiben, den Instrumenteneinsatz besser ausrichten, auf eine verbesserte Kontrolle des Arbeitsschutzes hinwirken und in bestehenden Arbeitsschutzverordnungen, die noch keine Klarstellung zum Schutz der psychischen Gesundheit enthalten, dieses Ziel aufnehmen. Es erfolgt eine wissenschaftliche Standortbestimmung, die gleichzeitig eine fundierte Übersicht über psychische Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt gibt und Handlungsoptionen für notwendige Regelungen aufzeigt. Im Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse schließen wir insoweit auch verbindliche Regelungen in der Form einer Verordnung gegen psychische Erkrankungen nicht aus.
Der Schutz und die Stärkung der physischen Gesundheit in besonders belastenden Tätigkeiten werden weiter verbessert, die entsprechende Forschung unter Begleitung der Tarifpartner intensiviert und Lösungsvorschläge zur Vermeidung arbeitsbedingter Verschleißerkrankungen und Frühverrentungen erarbeitet.

Kontrolle des Arbeitsschutzes: Im 1. Entwurf (Stand 24.11. 20:00) stand: “auf eine Personalaufstockung bei der Kontrolle des Arbeitsschutzes hinwirken”. Im finalen Text steht “auf eine verbesserte Kontrolle des Arbeitsschutzes hinwirken”. Wir sollten uns also in Erinnerung behalten, dass in den Koalitionsverhandlungen der Personalmangel bei der Gewerbeaufsicht angesprochen wurde. Es sind noch andere Schwächen zu beheben (die in der Vergangenheit aus meiner Sicht wegen der Fehleinschätzung des unternehmerischen Verantwortungsbewusstseins bewusst von der Politik toleriert wurden). Konkrete Maßnahmen müssen aber bezahlt werden.
Arbeitsschutz in Zusammenarbeit mit der allgemeinen Gesundheitspolitik: In der Vergangenheit hatten sich nach meinem Eindruck das CDU-geführte Bundesministerium für Arbeit (mit dem verhältnispräventiv orientierten Arbeitsschutz) und das FDP-geführte Ministerium für Gesundheit (mit einer überwiegend verhaltenspräventiv angelegten Gesundheitsförderung) nicht sonderlich gut abgestimmt. Zusammenarbeit ist gut, aber mit dem beabsichtigten Ausbau der Zusammenarbeit des Arbeitsschutzes mit der allgemeinen Gesundheitspolitik könnte weiterhin versucht werden, die Kosten des Arbeitsschutzes weg von den Arbeitgebern hin zu den Mitarbeitern und der Gemeinschaft der Krankenversicherten und Steuerzahler zu verschieben.
        Darum ein wichtiger Hinweis: Verkauft ein Arbeitgeber z.B. der Gewerbeaufsicht, den Auditoren, seinen Mitarbeitern usw. Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitförderung als “Arbeitsschutzmaßnahmen”, dann muss der Arbeitgeber die Kosten tragen und vor der Durchführung der Arbeitsschutzmaßnahme die Mitbestimmungspflicht des Betriebsrates oder des Personalrates beachtet haben. Wenn die Maßnahme überwiegend verhaltenspräventiv ist, dann ist sie nachrangig gegenüber den im Arbeitsschutz vorgeschriebenen verhältnispräventiven Maßnahmen. Und Maßnahmen, für die Mitarbeiter eigene Zeit und eigenes Geld aufbringen müssen (selbst, wenn nur teilweise), sind keine Arbeitsschutzmaßnahmen.
Klarstellung: Mit “in bestehenden Arbeitsschutzverordnungen, die noch keine Klarstellung zum Schutz der psychischen Gesundheit enthalten, dieses Ziel aufnehmen” steht nun auch im Koalitionsvertrag, dass hier nur eine Klarstellung vorgenommen wird. Die Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz besteht nämlich schon seit dem Jahr 1996.
Anti-Stress-Verordnung: Wissenschaftliche Standortbestimmungen, die gleichzeitig eine fundierte Übersicht über psychische Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt geben und Handlungsoptionen für notwendige Regelungen aufzeigen, sind längst verfügbar. Die Koalitionsverhandler einigten sich nur auf ein unverbindliches Nachdenken über eine “Verordnung gegen psychische Erkrankungen”, die die SPD will, aber nicht so sehr die CDU/CSU. Damit reiht sich dieses wohl auch als “Anti-Stress-Verordnung” bekannte Thema in eine Warteschlange mit über 80 Prüfaufträgen im Koalitionsvertrag ein, mit denen diese Koalition die Leidensfähigkeit der Bürger prüfen wird.