Koalition gegen Stress

Hier einmal ein Beispiel für einen guten Artikel zum Thema der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz: http://www.welt.de/print/wams/wirtschaft/article113157196/Grosse-Koalition-gegen-Stress.html

Welt am Sonntag 27.01.13
Große Koalition gegen Stress
Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik wollen gegen die steigende Zahl der Burn-out-Fälle vorgehen. Dabei sind sie sich nicht einmal über deren Ursachen einig
Von Ileana Grabitz und Flora Wisdorff
Nichts lag dem Arbeitgeberpräsidenten bislang ferner als einzugestehen, dass Arbeit auch krank machen kann: Erst jüngst verwehrte sich Dieter Hundt, Chef der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände, wieder vehement gegen die Kritik, dass die Unternehmen an der drastischen Zunahme psychischer Erkrankungen zumindest eine Mitschuld tragen könnten. Derlei Erkrankungen seien kein durch Arbeit verursachtes Problem, erklärte Hundt entrüstet. Entscheidend sei vielmehr die persönliche Disposition und das Lebensumfeld der Betroffenen: “Die wesentlichen Ursachen liegen in genetischen und entwicklungsbedingten Faktoren, im familiären Umfeld und im Freizeitverhalten”, war sich der Arbeitgeberpräsident sicher. Die Unternehmen könnten “nicht alles reparieren, was in Einzelfällen in anderen Lebensbereichen schiefläuft”.
So überzeugt Hundt damals urteilte: Kurz vor einem Gipfeltreffen, an dem das Bundesarbeitsministerium, hochrangige Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter erstmals gemeinsam nach Rezepten gegen den Stress am Arbeitsplatz fahnden wollen, schlägt der Verbandschef in der “Welt am Sonntag” nun spürbar sanftere Töne an. …

 
Nun zu einer neuen Argumentationstaktik der Arbeitgeber: http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2013-01/25802964-stress-am-arbeitsplatz-bda-will-auf-gewerkschaften-zugehen-003.htm

… Auch Hans-Joachim Wolff, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), sieht die Arbeitgeber in der Pflicht: Die Gründe für psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz seien zwar vielfältig, betont Wolff gegenüber der “Welt am Sonntag”. Einen zentralen Einfluss habe aber auch das Verhalten der Führungskräfte. Wichtig sei daher, “für jeden Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen, die auch die psychischen Belastungen mit einschließt”. Schon heute habe die DGUV dabei einen Katalog von Leitlinien [http://blog.psybel.de/dguv-infos/] in petto, an denen sich Unternehmen orientieren könnten. Die Arbeitgeber sehen den Handlungsbedarf jedoch vor allem an anderer Stelle: Der Erfolg einer psychotherapeutischen Behandlung hänge wesentlich von der frühen Erkennung und richtigen Einordnung ab, moniert Arbeitgeberchef Hundt. Deshalb sei der Zustand “unhaltbar, dass Betroffene im Schnitt drei Monate auf das Erstgespräch für eine psychotherapeutische Behandlung warten” müssten. “Ich erwarte von der Gesundheitspolitik, den Ärztevereinigungen und den Krankenkassen, dass sie diesen Missstand entschlossen beheben”, so Hundt.

Hier kommt zu den bekannten Argumentationsmustern der BDA noch ein neues (bzw. eine Variation älterer Argumente) hinzu: Die Mahnung, bessere Verhältnisprävention zu betreiben, pariert Dieter Hundt nun mit der Forderung, durch frühzeitigere psychotherapeutische Behandlung individuelles Verhalten zu ändern. Auf den ersten Blick klingt das nach einer Unterstützung erkrankter Menschen, aber Behandlung ist schon keine Prävention mehr. Hier wird ein neuer “Red Herring” in die Debatte geschmissen, der von den vorgeschriebenen Prioritäten ablenkt: Im Arbeitsschutz wird Verhältnisprävention gefordert, nicht Verhaltensbehandlung. Hundt versucht nun, den Schwarzen Peter zu den Psychotherapeuten zu schieben. Die Tricks hören nicht auf.
Selbst die Medien halten sich bei der Feststellung einer Tatsache zurück: 80% der Unternehmen haben psychische Belastungen nicht in ihren Arbeitsschutz integriert. Sie begehen eine Ordungswidrigkeit. Das ist spätestens seit 2004 klar. Die Nachhaltigkeit, mit der sie ihre Pflichten im Arbeitsschutz missachteten, lässt sogar an strafbares Handeln denken. Da ist ja nun wohl etwas Grant erlaubt: Alleine ihrer wirtschaftlichen Stärke ist es wohl zu verdanken, dass die Unternehmen, die diese Vergehen begingen, nicht zur Veranwortung gezogen wurden und eine ausgedünnte Gewerbeaufsicht ziemlich hilflos dabei zusehen musste. So rücksichtsvoll wird beispielsweise mit den wohl weniger “systemrelevanten” und deswegen gnadenloser beaufsichtigten kleinen Harz-IV-Betrügern nicht umgegangen, obwohl diese mit ihren Vergehen kaum Körperverletzungen riskieren. Dass die BDA dann noch entschlossens Handeln bei der Therapie psychischer Krankheiten fordert, ist Chuzpe vom Feinsten.
Ich erwarte von den Arbeitgebern, dass sie die Vorschriften des Arbeitsschutzes entschlossen respektieren. Es mag sein, das der Hinweis auf ihren Rechtsbruch die betroffenen Unternehmer nicht motiviert, ihren Pflichten nachzukommen. Politiker, Gewerkschaften, Behörden und Unternehmensberater sind deswegen diplomatisch. Mir jedoch geht es um eine zukünftig illusionslosere Gesetzgebung. Nicht nur die Erfahrungen mit der “Bankenkrise”, sondern auch mit der modernen “entbürokratisierten” Arbeitschutzgesetzgebung sollten gezeigt haben, dass eine konsequente Aufsicht der Unternehmen unerlässlich ist.

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