Fehlberatung: Belastung und Beanspruchung

Update 2011-08-03: DGFP-Veröffentlichungen (falls hier angegebene Links nicht mehr funktionieren): http://www.dgfp.de/wissen/praxispapiere
 


Der Titel, unter dem auf ein DGFP-Artikel hingewiesen wird, heißt be haufe.de: “Psychische Belastung: Führungskräfte sind hilflos”. Hier haben wir wieder ein Beispiel, wie ein Artikel mit “Belastung” vorgestellt wird, dann aber “Beanspruchung” behandelt.
http://www.haufe.de/arbeitsschutz/newsDetails?newsID=1304490080.88 (2011-05-05):

… Die Studie “Psychische Beanspruchung von Mitarbeitern und Führungskräften” der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP) legt erhebliche Defizite im Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern offen. Vor allem die Mitarbeiterführung lässt in den Augen der 239 befragten HR-Manager stark zu wünschen übrig. Grund sei vor allem die fehlende Schulung der Führungskräfte. …

… Führungskräfte sind mangelhaft vorbereitet
So sind 76 Prozent der befragten Personalmanager der Ansicht, dass die Führungskräfte in ihrem Unternehmen nur unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Beanspruchungen überhaupt zu erkennen. 87 Prozent der Befragten konnten zudem beobachten, dass die Führungskräfte unsicher sind, wie sie sich im Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern adäquat verhalten sollen. 56 Prozent der befragten Personalmanager haben darüber hinaus den Eindruck, dass die Führungskräfte die psychische Beanspruchung ihrer Mitarbeiter bewusst tabuisieren. Ein Indiz dafür sei beispielsweise, dass nur in 17 Prozent der Unternehmen das Thema “psychische Beanspruchung” standardmäßiger Bestandteil in Mitarbeitergesprächen ist. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Ersteinmal zur Korrektur: Wenn Mitarbeiter nicht psychisch belastet und deswegen auch nicht psychisch beansprucht sind, dann haben sie nichts zu tun. Das ist keine gute Führung. Führungskräfte müssen weder Belastungen noch Beanspruchungen vermeiden. Sondern sie haben Maßnahmen gegen Fehlbelastungen und die daraus resultierenden Fehlbeanspruchungen zu ergreifen.
Ein Mittel, von den Arbeitsbedingungen ausgehende Belastungen zu tabuisieren ist, auf individuelle Beanspruchungen der Mitarbeiter auszuweichen. Und so widmet sich die DGFP lieber dem Thema der Beanspruchung (und damit der im Arbeitsschutz nachrangigen Verhaltensprävention) als dem der Belastung (und damit der im Arbeitsschutz vorrangigen Verhältnisprävention). Die Beratung der DGFP geht in die falsche Richtung.
Der bei haufe.de angegebene Link funktioniert nicht; die DGFP scheint die Links gelegentlich zu ändern. Ich vermute mal, dass man den DGFP-Artikel (zur Zeit) hier findet: http://www.dgfp.de/aktuelles/news/dgfp-studie-zur-psychischen-beanspruchung-von-mitarbeitern-problem-in-fast-jedem-unternehmen-1208
 


http://rehanews24.de/archives/1494:

Zweite Fachtagung: Psychische Belastungen im Beruf am 16. und 17. Juni 2011 in Bad Münstereifel …
… Wiesbaden. Mögliche Ursachen für psychische Fehlbeanspruchungen im Beruf und deren Bewältigung werden in der Bildungsstätte der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) in Bad Münstereifel thematisiert. Veranstalter der Fachtagung sind außer der BG ETEM das Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG) und der Universum Verlag (UV).
Psychische Belastungen stehen in ihren negativen Ausprägungen als psychische Fehlbeanspruchungen im Zentrum der Diskussion im Arbeitsschutz. Ihr kontinuierlicher Anstieg sowie die Verbindung mit verschiedenen seelischen und körperlichen Erkrankungen werden durch zahlreiche Studien belegt. Die Experten sind sich einig: Die Relevanz des Themas wird in den nächsten Jahren zunehmen. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Der Fehler ist hartnäckig. Nochmal: Richtig ist (und eine Berufsgenossenschaft sollte das eigentlich wissen): Psychische Belastungen sind – in ihren negativen Ausprägungen als vom Arbeitgeber zu vermeidende oder zu mindernde psychische Fehlbelastungen – ein Thema des Arbeitsschutzes. Aus Fehlbelastungen können Fehlbeanspruchungen resultieren.
Zur Fachtagung gibt es hier bereits einen Blogeintrag: http://blog.psybel.de/bg-psybel-im-beruf/.

BG ETEM

Berufsgenossenschaft Energie-Elektro-Textil (2011): Psychische Belastungen am Arbeitsplatz
Inhalt:

Wandel der Anforderungen in der Arbeitswelt
Neue Arbeitsbelastung -> ihre Folgen
Belastungen und Beanspruchungen
Neues Feld für den Arbeitsschutz
Für Eilige: Kurzcheck »Risiken«
Beurteilung psychischer Gefährdungen
  1. Unternehmensleitung
  2. Organisationskultur
  3. Führungsstil
  4. Teamklima
  5. Mitarbeiterförderung
  6. Betriebsorganisation
  7. Arbeitsprozesse
  8. Arbeitstätigkeit
  9. Ausführungsbedingungen
  10. Rahmenbedingungen

S. 5:

Nach dem Arbeitsschutzgesetz (§§ 2,3) und dem Sozialgesetzbuch Teil VII (SGB VII, §§ 1, 14, 21) sind Arbeitgeber und Berufsgenossenschaften verpflichtet, nicht nur Unfälle und Berufskrankheiten, sondern auch »arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren« zu verhüten. Dazu zählen psychische Belastungen, soweit sie gefährdend sind. Somit ist die Bewertung psychischer Fehlbelastungen in die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung mit eingeschlossen (§ 5 Arbeitsschutzgesetz).
Über Pflichten klärt auch die EU-Rahmen-Richtlinie 89/391/EWG zur »…Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes …« Art. 6 Abs. 1 und 2 (1989) auf.
Die DIN EN ISO 9241 und 10075 sowie die Bildschirmarbeitsverordnung geben gesetzliche Anhaltspunkte zur Gestaltung der Tätigkeit.

S. 2

Zwölf Merkmale der neuen Arbeitswelt:

  1. Lebenslanges Lernen
  2. Computer und Internet sind Entlastung, aber auch Fessel
  3. »Patchwork-Lebensläufe« lösen die planvolle Karriere ab
  4. Erwerbs- und Nichterwerbsphasen in Biografien lösen sich ab
  5. Kosten zu sparen ist überlebenswichtig
  6. Normalarbeitsverhältnisse lösen sich auf
  7. Unternehmen sind rund um die Uhr einsatzbereit
  8. Dank Internet: Firmen expandieren weltweit
  9. Wir sind unbegrenzt mobil: Zerfall der Familie
  10. Frauen wollen Karriere ➔ Familien sind höher belastet
  11. Beziehungsmanagement wird zum A und O
  12. Es fehlt an Fachleuten trotz hoher Erwerbslosigkeit

S. 3

Auch Unternehmer sind gefährdet: Physisch und psychisch!

S. 6, “Beobachtungen bei einzelnen Personen”: Das sollte von externen Stellen bearbeitet werden oder externen Beratern, die das Vertrauen vonArbeitgebern und Arbeitnehmern genießen. Die Gefährdungsbeurteilung gilt ja Arbeitsplätzen, nicht individuellen Mitarbeitern. Die individuelle Befindlichkeit von Mitarbeitern kann allerdings schon Rückschlüsse auf Eigenschaften der Arbeitsplätze der Mitarbeiter aussagen.
In der Präsentation gibt es auch einige hilfreiche Checklisten.