IG Metall warnt vor Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in den Betrieben

http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/style.xsl/6763-8555.htm

Pressemitteilung Nr. 41/2011
IG Metall warnt vor Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in den Betrieben
27.09.2011
Berlin – Die IG Metall hat vor den Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt gewarnt und von Arbeitgebern und Politik mehr Bereitschaft zur Prävention gefordert. “Mit der rasanten Zunahme von arbeitsbedingtem Stress und psychischer Erkrankungen tickt eine gesellschaftliche Zeitbombe”, sagte Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall am Dienstag in Berlin. Stress und Burnout hätten längst in Werkstätten, Fabrikhallen und Büros in einem Tempo und einem Ausmaß um sich gegrifen, dass es fahrlässig sei, diese Problem unter ferner liefen zu behandeln. “Wir wollen alle Akteure, die zur Bewältigung dieses Problems beitragen können, aufrütteln”, betonte Urban.
Der Gewerkschafter verwies auf die Ergebnisse einer Umfrage unter Betriebsräten. Danach wird von 86 Prozent der Befragten der Anstieg psychischer Erkrankungen in den Betrieben als ernst zu nehmendes Problem wahrgenommen. Rund 40 Prozent der Betriebsräte geben an, dass psychische Erkrankungen stark bzw. sehr stark im Unternehmen zugenommen haben. Insgesamt 68 Prozent der Betriebsräte geben an, dass arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck in den Unternehmen besonders seit der Krise erheblich gestiegen sind.
Urban stellte eine eklatante Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung des Problems und den tatsächlichen Hilfs- und Präventionsangeboten in den Betrieben fest. In 43 Prozent der Betriebe gab es keine Hilfen und in 26 Prozent zu wenige Hilfen für Burnout-Betroffene. Insgesamt 73 Prozent der Betriebsräte sind der Meinung, dass in den Betrieben mehr für den Gesundheitsschutz getan werden müsste.
Der Sozialexperte kündigte an, die IG Metall werde arbeitsbedingten Stress und seine gesundheitlichen Folgen zum Thema in den Betrieben und gegenüber der Politik machen. “Gesundheit darf nicht hinter betriebswirtschaftlichen Erfolgszahlen und der Wettbewerbsfähigkeit zurückstehen”, kritisierte Urban. Arbeitgeber müssten mehr in den Gesundheitsschutz investieren.
Die IG Metall wolle die Betriebsräte beim Thema psychische Erkrankungen, wie Burnout, stärker unterstützen. Urban stellte die Arbeitshilfe “Burnout. Betriebsräte als Lotsen für Burnout-Betroffene” vor.
Der Gewerkschafter kritisierte, dass bei Gesundheitsgefahren durch arbeitsbedingten Stress und psychische Belastungen eine eklatante Schutzlücke bestehe, die dringend geschlossen werden müsse. “Bei allen klassischen Gesundheitsgefährdungen wie Gefahrstoffe und Lärm gibt es konkrete Präventionsregeln. Bei arbeitsbedingtem Stress: Fehlanzeige”, kritisierte Urban. Hier müsse endlich mit einer Anti-Stress-Verordnung nachgebessert werden.

 
Die “Anti-Stress-Verordnung” gibt es doch schon seit langer Zeit: Arbeitsschutzgesetz (1996) und BAG-Beschlüsse (2004). Und die Bildschirmarbeitsverordnung ist derart konkret, dass die Stoiber-Kommission sie loswerden will. Wie so oft, mangelt es heute nicht an Gesetzen, sondern an deren Durchsetzung. Ansonsten stimmt Vieles in der Pressemeldung der IG-Metall, aber bitte besser fragen! Fragt die Betriebsräte bei solchen Blitzumfragen:

  • Gibt es in Euren Betrieben Gefährdungsbeurteilungen, in die psychisch wirksame Belastungen einbezogen sind?
  • Wenn ja, habt Ihr das mit einer Betriebsvereinbarung geregelt?

Mit diesen Fragen kann man ganz leicht harte Tatsachen ermitteln, die sich nicht so leicht wegdiskutieren lassen wie das Stimmungsbild, das Ihr hier wiedergebt. Nicht das Fehlen einer “Anti-Stress-Verordnung” ist das Problem, sondern die mangelhafte Aufsicht durch die Behörden. Auch fehlt Arbeitgebern oft der Respekt vor der Mitbestimmungsplicht der Betriebsräte.
Siehe auch: http://blog.psybel.de/kategorie/statistik/ (darin speziell: http://blog.psybel.de/ganzheitlicher-arbeitsschutz-nur-bei-16prozent-der-betriebe/)
 
PS: Es mag überraschen, aber ausgerechnet bei der FDP fand ich ein Beispiel für gute Fragen.
 


2011-10-14: Andere Meinung zur Regelungslücke: http://blog.psybel.de/regelungsluecke-psychische-belastungen-schliessen/

Depression als Schlaganfallrisiko

http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/47429/Depression_als_Schlaganfallrisiko.htm

Boston – Menschen mit Depressionen erkranken häufiger an einem Schlaganfall. Nach einer Meta-Analyse im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2011; 306: 1241-1249) könnten fast 4 Prozent aller Schlaganfälle Folge der mentalen Erkrankung sein. …

Suizid als Arbeitsunfall?

http://www.faz.net/artikel/C30513/psychischer-druck-von-selbstmord-erschuettert-30097234.html (Suizid als Arbeitsunfall?, 2007-10-18)

… Wenn der schlimmste Fall eingetreten ist, wollen die Ehepartner und Kinder versorgt werden. Doch fällt es ihnen oft schwer, eine Anspruchsgrundlage zu finden und ihre Voraussetzungen vor Gericht zu beweisen. “Der Suizid eines Arbeitnehmers könnte als Arbeitsunfall gewertet werden”, sagt Gerhard Röder, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart. … Die Kläger müssten darlegen, sagt Röder, dass die Ursache für das Unglück eine zugespitzte betriebliche Situation war, die dem Verstorbenen einen plötzlichen schweren Schock oder ein psychisches Trauma zugefügt hat. “Es reicht in der Regel nicht, dass sich eine Krise langsam und stetig aufgebaut hat”, betont der Anwalt. … Liege ein solcher Arbeitsunfall nicht vor, könne ein Unternehmen wegen Verletzung der allgemeinen Fürsorgepflicht oder des Arbeitsschutzrechtes haften, sagt Röder. …

Heute, am Welt-Suizid-Präventionstag, wird es wieder ernst. Arbeitsbelastung ist nicht die Hauptursache für Selbsttötungen. Es geht generell um den Umgang miteinander.
Auch in diesem Jahr nahmen sich bekannte Persönlichkeiten das Leben, die vermeintlich keine Sorgen haben müssten. Vielleicht sollten wir uns unsere wirklichen Sorgen einmal genauer ansehen. Das hilft.
Suizide können nur in seltenen Fällen als Arbeitsunfall auf die Arbeitsbedingungen in einem Betrieb zurückgeführt werden. Für den extremen Schritt zur Selbsttötung kann zwar niemals ausschließlich der Arbeitgeber verantwortlich gemacht werden, aber zu welchem Grad Arbeitsbedingungen Anteil an den Gründen für eine Selbsttötung haben, wird nach einem Suizid kaum wirklich ergebnisoffen untersucht. Selbst Arbeitnehmervertretungen haben hier Angst.
Hier muss sich etwas ändern. Richter müssten schon den fehlenden Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz als ein Indiz für eine Mitschuld des Arbeitgebers werten dürfen. Derzeit hilft es Arbeitgebern sogar, vorschriftenwidrig die Beurteilung psychischer Belastungen zu vermeiden, denn das vermeidet auch eine Dokumentation, aus der Hinterbliebene Beweise gewinnen könnten.
Übrigens, um Selbsttötung geht es auch in “Eine Sitte auf der Insel Kreos” in den Essais von Michel de Montaigne. Das ist sehr lesenswert (auf Deutsch z.B. in Reclam 8308), muss aber im Zusammenhang mit den Wertvorstellungen im Frankreich des 16. Jahrhunderts gesehen werden. Aus heutiger Sicht ist das Kapitel eigentlich haarsträubend. Die Wechselwirkung zwischen sich selbst tötenden Menschen und ihren Mitmenschen als Ursache von Suizid ist aber bis heute geblieben. An dieser Wechselwirkung können wir aber auch immer wieder ansetzen. Schließlich ist sie ja der Grund dafür, dass wir Selbsttötungen nicht hinnehmen wollen.

Skurriles bei den Arbeitgebertagen

Am 13. und 14. September veranstaltet die BWRmed!a (ein Unternehmensbereich der Verlag für die Deutsche Wirtschaft AG) die “4. Arbeitgebertage zum Brennpunkt Betriebsrat 2011“, ein “Jahrestreff für Arbeitgeber mit Betriebsrat.” Da muss ein Arbeitgeber, der Betriebsrat hat, unbedingt hin, denn manchmal wird man als Arbeitgeber das Gefühl nicht los, dass Rechtsprechung und Gesetzgeber nur noch die Arbeitnehmer- und Betriebsratsrechte vor Augen haben. Und mit dem Seminartourismus dieser Betriebsräte kann das auch nicht mehr so weiter gehen. Bei dem Jahrestreff erfahren Arbeitgeber mit Betriebsrat aber nicht nur, wie man sich vor Betriebsrat besser schützt oder wie man Betriebsrat behandelt, sondern es ist auch für Trost gesorgt, weil nämlich Professor Dr. jur. Burkhard Boemke da ist. Professor Dr. jur. Burkhard Boemke ist seit 1998 der Direktor des Instituts für Arbeits und Sozialrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig. (Den Förderverein zu dem Institut gibt es schon seit 1997.) Professor Dr. jur. Burkhard Boemke macht auch noch viele andere Sachen, zum Beispiel ist er der Chefredakteur des Informationsdienstes “Arbeitsrecht kompakt – Urteilsblitzdienst für Arbeitgeber“, Managementberater und so weiter. Am 13. September erzählt er beim Jahrestreff für Arbeitgeber mit Betriebsrat ab 17:15, was für skurrile Betriebsratsfälle es so alles gibt, zum Beispiel einen Check der Unterwäsche bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Besonders lustig ist “Arbeitsplatzgestaltung im öffentlichen Dienst: Temperatur, Helligkeit, Luftfeuchtigkeit und mehr”. Für Feuchtigkeit ist auch am Abend gesorgt: Es gibt dann einen kommunikativen Imbiss und Umtrunk mit allen Referenten in einem Braukeller, der so nahegelegen ist, dass man danach auch ziemlich sicher seinen Weg in das Hotel wieder zurück findet.

Jeder dritte Europäer leidet an einer Störung des Gehirns

http://www.stern.de/gesundheit/angststoerungen-und-depressionen-jeder-dritte-europaeer-psychisch-krank-1724414.html


Die Studie liefert nach Angaben der Experten erstmals ein realistisches Bild zur Häufigkeit psychischer Störungen in Europa. 38 Prozent aller Einwohner der EU leiden demnach binnen eines Jahres unter einer klinisch bedeutsamen psychischen Störung.

  • Den Spitzenplatz belegen Angststörungen (14 Prozent).
  • Sieben Prozent leiden an Schlafstörungen.
  • An Depressionen sind 6,9 Prozent, an psychosomatischen Erkrankungen 6,3 Prozent erkrankt.
  • Vier Prozent leiden laut Studie unter Alkohol- und Drogenabhängigkeit.
  • Bei fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen treten Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen auf.
  • An Demenzen leiden zwischen einem Prozent der 60- bis 65-Jährigen bis zu 30 Prozent der über 85-Jährigen.

Siehe auch: http://www.psychologie.tu-dresden.de/i2/klinische/mitarbeiter/publikationen/jacobi-p/fjacobi-foref.pdf

15 Jahre Arbeitschutzgesetz

In http://www.sozialticker.com/15-jahre-arbeitsschutzgesetz-ein-anlass-zum-feiern-und-verbessern_20110820.html gefunden:

19. August 2011
15 Jahre Arbeitsschutzgesetz – ein Anlass zum Feiern und Verbessern
Zum 15-jährigen Bestehen des Arbeitsschutzgesetzes erklärt Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte:
    “Vor 15 Jahren, am 21.8.1996, ist das Arbeitsschutzgesetz in Kraft getreten. Damals war es ein wichtiger Meilenstein – heute muss dringend nachgebessert werden. Die Bundesregierung muss die neuen Herausforderungen beim Arbeitsschutz ernst nehmen, statt die notwendigen Reformen zu verschleppen.
    Psychische Belastungen nehmen zu und sind für einen großen Teil der berufsbedingten Erkrankungen und für vorzeitige Arbeitsunfähigkeit verantwortlich. Diese Entwicklung ist beunruhigend, deshalb besteht erheblicher Handlungsbedarf. Wir brauchen eine Anti-Stressverordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Stress und psychosozialen Gefährdungen am Arbeitsplatz. Die Gesundheitsrisiken durch beruflichen Stress darf die Bundesregierung nicht länger den Arbeitgebern unreguliert überlassen.
    Die gesetzlich verankerte Gefährdungsanalyse wird nur von einem Teil der Betriebe durchgeführt. Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass nahezu alle Unternehmen eine Gefährdungsanalyse durchführen. Zudem muss sie um altersbezogene Aspekte ergänzt werden, denn die älteren Beschäftigten brauchen altersgerechte und die Jungen alternsgerechte Arbeitsplätze. Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft und der Rente mit 67 Jahren ist dies ein Gebot der Stunde. Aber die Bundesregierung ist in Sachen Gefährdungsanalysen ahnungslos und naiv. Sie sollte sich schleunigst kundig machen und handeln.”
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

(Links nachträglich eingefügt)
“Gefährdungsanalyse” geht vielleicht zu weit, das Gesetz fordert eine Gefährdungsbeurteilung. Und die wird oft schon gemacht, jedoch ohne Einbezug psychisch wirksamer Belastungen. Und da diese inzwischen auch eine relevante Gefährtungskategorie darstellen, haben sie beurteilt zu werden. So ist das nun mal in einem Rechtsstaat.
Aber immerhin greifen DIE GRÜNEN das Thema auf.
Ich befürchte allerdings, dass sowohl die Bundesregierung wie auch die Unternehmen bei diesem Thema nur so tun, als ob sie ahnungslos und naiv seien. In Kooperation mit vielen Unternehmen stellen sich Politiker einfach dumm, um keinen Handlungsbedarf und/oder vorsätzlichen Rechtsbruch sehen zu müssen.
Die Stoiber-Kommission ahnt z.B. durchaus, dass die Bildschirmarbeitsverordnung mit ihren unangenehm konkreten Vorgaben recht wirksam sein könnte und versucht darum, diese Verordnung zu schwächen.
Ob eine Anti-Stress-Verordnung hilft? Eigentlich ist alles da, was Arbeitnehmer brauchen. Aber die Aufsicht will einfach nicht klappen. Kurz nach 1996 war das vielleicht noch verzeihlich, aber spätestens nach den BAG-Beschlüssen im Jahr 2004 hätte die Aufsicht in die Gänge kommen müssen. Kann es sein, dass sie aus politischen Gründen seit 1996 (also auch unter Rot-Grün) gar nicht funktionieren soll?

Jeder zehnte Ausfalltag am Arbeitsplatz psychisch bedingt

http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/Themen/stress,did=258610.html?view=renderPrint (mit Linkliste)

18.8.2011
Psychische und psychosomatische Störungen sind immer häufiger Ursache für Arbeitsunfähigkeit. Wie das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) in seinem jüngsten Fehlzeiten-Report meldet, verursachten psychische Erkrankungen im vergangenen Jahr bereits 9,3 Prozent aller Fehltage am Arbeitsplatz. Die meisten Krankheitstage entfielen 2010 auf die Gruppe der Muskel- und Skeletterkrankungen (24,2 Prozent). Darauf folgen akute Verletzungen (12,9 Prozent), Atemwegserkrankungen (zwölf Prozent). …

Zur WIdO-Veröffentlichung (2011-04-19) gab es in diesem Blog schon einen Artikel: http://blog.psybel.de/burnout-auf-dem-vormarsch/. Wegen der Linkliste wiederhole ich die heute von der INQA aufgewärmte Meldung.

Zu viele Organisationen drücken sich vor dem Arbeitsschutz

http://www.sapler.igm.de/news/meldung.html?id=45990

19.07.2011 Prof. Dr. Jochen Prümper ist Wirtschafts- und Organisationspsychologe. Er nimmt Stellung zum Thema Stress in der Arbeitswelt und den Möglichkeiten, diesem nachhaltig entgegen zu treten.

Wie sieht die Situation, der Umgang mit Arbeits- und Gesundheitsschutz in der betrieblichen Praxis aus?
Prümper: Die Situation in der betrieblichen Praxis ist sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Unternehmen, öffentlichen Verwaltungen und Non-Profit-Organisationen, die die Bedeutung des Themas Arbeits- und Gesundheitsschutz verstanden haben, sehr ernst nehmen, und in denen die Geschäftsführung zusammen mit dem Betriebs- oder Personalrat gemeinsam, proaktiv und mit Hilfe professioneller Unterstützung ein systematisches betriebliches Gesundheitsmanagement aufgebaut haben. Viele gehen dabei auch weit über die gesetzlichen Verpflichtungen zum Arbeitsschutz hinaus, weil sie begriffen haben, dass – neben der betrieblichen Gesundheitsförderung im engeren Sinne – eine Verbesserung der Führungskultur, bessere Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf und eben auch die Gestaltung alternsgerechter Arbeit sowohl die Gesundheit und Motivation nachhaltig fördert, als auch die Produktivität, Produkt- und Dienstleistungsqualität und Innovationsfähigkeit des Unternehmens erhöht.
Sie sagten “Auf der einen Seite …” Gibt es noch eine andere Seite?
Prümper: Leider ja. Es gibt noch viel zu viele Organisationen, die sich bei dem Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz zum “Jagen tragen lassen”, die sich viel zu wenig um die Gesundheit ihrer Beschäftigten sorgen und die sich sogar davor drücken, ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes nachzukommen. Die entsprechenden Entscheidungsträger handeln in meinen Augen nicht nur grob fahrlässig, weil sie es versäumen, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen und für das Wohlergehen ihrer Beschäftigten Sorge zu tragen, sondern sie stellen auch leichtfertig – gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels – die Existenz ihrer Unternehmen aufs Spiel.

(Hervorhebung nachträglich eingefügt)


Spielten psychische Erkrankungen schon immer eine solch schwerwiegende Rolle, oder ging der heutigen Situation eine Entwicklung voraus?
Prümper: Die Ergebnisse einer Studie des Landesinstituts für Gesundheit und Arbeit des Landes NRW zeigen, dass für die Beschäftigten heutzutage vor allem psychische Belastungen, wie hoher Zeitdruck, hohe Verantwortung und die zu leistende Arbeitsmenge, eine bedeutsame Rolle spielen. Hinzu kommen Belastungen durch Umstrukturierungsmaßnahmen und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Körperlich belastend werden insbesondere Zwangshaltungen, Lärm und die klimatischen Bedingungen am Arbeitsplatz empfunden. Im Längsschnitt zeigt sich, dass in den letzten Jahren besonders deutliche Zunahmen in den Belastungseinschätzungen bezüglich der Faktoren hoher Zeitdruck und Überforderung durch die Arbeitsmenge zu verzeichnen ist. Damit hat sich in den letzten Jahren insbesondere das psychische Belastungsniveau ständig erhöht, der Leistungsdruck am Arbeitsplatz ist immer stärker geworden. Entsprechend lassen sich Trends im Beanspruchungserleben aufzeigen.

  • Der Anteil Beschäftigter, die angaben, unter Erschöpfung zu leiden, stieg von 28 % im Jahr 1999 auf 48 % im Jahr 2008,
  • und der Anteil derer, die angaben, nicht abschalten zu können von 23 % im Jahr 1999 auf 47 % im Jahr 2008.
  • Nach einer aktuellen Studie der AOK sind Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen seit 1999 um nahezu 80 % angestiegen.
  • Und diese führen zu langen Ausfallzeiten: Mit 23,4 Tagen je Fall dauern psychische Erkrankungen doppelt so lange wie der Durchschnitt mit 11,6 Tagen – Tendenz steigend.
  • Und dieser Trend geht weiter: Nach dem aktuellen Gesundheitsbericht der DAK nahm der Anteil der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen im vergangenen Jahr erneut zu. Ihr Anteil am Krankenstand lag im vergangenen Jahr bereits bei 12,1 % aller Fehltage.
  • Psychische Erkrankungen bilden damit heutzutage die viert wichtigste Krankheitsgruppe, Anfang der Neunzigerjahre nahmen sie gerade einmal den siebten Rang ein und waren vorher nahezu bedeutungslos.

(nachträgliche Layoutänderungen im Zitat)
Zitiert habe ich Prof. Prümper von einer Seite der IG-Metall. Man kann es sich nun leicht machen und ihn in die Gewerkschaftsschublade einordnen. Wie seine Kritik am DGB-INDEX “Gute Arbeit” zeigt, gehört er aber in diese Schublade nicht hinein.
Dass bisher die Mehrheit der Unternehmen die Vorschriften des Arbeitsschutzes missachten durfte, ist offensichtlich: http://blog.psybel.de/stichwort/keine-gb/.

Beschäftigtendatenschutzgesetz

http://www.dgb.de/themen/++co++e64161ca-64f6-11e0-77ab-00188b4dc422/@@index.html

Betriebs- und Personalräte großer Unternehmen wie Porsche, IBM und Deutsche Bahn protestieren heftig gegen das geplante Beschäftigtendatenschutzgesetz der Bundesregierung. Sie fordern: Schluss mit dem Gesetz. Denn dieses würde den Grundrechtsschutz für die Beschäftigten verschlechtern.

Der Aufruf im Wortlaut

Wir fordern die Parlamentarier im Deutschen Bundestag auf, das anstehende Gesetzgebungsverfahren zu einem Beschäftigtendatenschutzgesetz nicht weiter zu betreiben.
Die Politik ist seinerzeit angetreten mit dem Anspruch, den Schutz der Grundrechte im Arbeitsverhältnis zu verbessern. Was nun auf dem Tisch liegt, bewirkt das Gegenteil: Nicht mehr Datenschutz im Arbeitsverhältnis, sondern mehr Überwachung durch den Arbeitgeber wird die Folge sein, wenn dieses Gesetz verabschiedet wird.
Offensichtliches Ziel ist es, Datenerhebung, –speicherung und –verwendung im Arbeitsverhältnis für Arbeitgeber zu erleichtern. Ihm werden weitereichende Befugnisse eingeräumt:

  • sich im Bewerbungsverfahren auch von Dritten Informationen zu beschaffen,
  • durch beliebige Eignungstests den Bewerber zu durchleuchten,
  • Beschäftigte im laufenden Arbeitsverhältnis zu gesundheitlichen Untersuchungen zu zwingen,
  • Beschäftigte am Arbeitsplatz durch Videokameras zu überwachen
  • und alle Beschäftigten unter den Generalverdacht zu stellen, korrupt zu sein, um dann Datenscreenings durchführen zu können. Das alles verschlechtert die bestehende Rechtslage erheblich.

Darüber hinaus soll der Wunschkatalog der Arbeitgeber noch dadurch erweitert werden, dass durch individuelle Vereinbarungen mit dem Arbeitnehmer weitere Datenerhebungen, –speicherungen und –verwendungen „erlaubt“ werden. Darüber hinaus soll von den gesetzlichen Bestimmungen zuungunsten der Beschäftigten auf der Grundlage von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen abgewichen werden können. Das schafft nicht mehr Freiheit für die Ausgestaltung der Betriebsparteien, sondern es schafft die Möglichkeit, auf Betriebs- und Personalräte Druck auszuüben, mit dem der Arbeitgeber sein Anliegen, die Beschäftigten zu durchleuchten, durchsetzen kann.
Wir meinen: Wer es ernst mit der Geltung von Grundrechten auch im Arbeitsverhältnis meint, kann diesem Gesetz nicht zustimmen.

(Hervorhebung nachträglich eingefügt)
Auch über das Beschäftigtendatenschutzgesetz wird versucht, den Vorrang der Verhältnisprävention im Arbeitsschutz auszuhebeln.
 


https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Regelung_des_Beschäftigtendatenschutzes

Inkrafttreten am: Dieses Gesetz hat sich durch den Ablauf der Wahlperiode erledigt.

 

Psychische Belastung trotz Gesundheitsmanagement hoch

https://www.haufe.de/oeffentlicher-dienst/newsDetails?newsID=1299569770.31 (2010-03-08)

… Der Belastungs-Index ist trotz Zunahme des Gesundheitsmanagements in deutschen Unternehmen und dem Bekenntnis zur Mitarbeiterorientierung im Rahmen von Work-Life-Balance-Konzepten relativ hoch. …

Angesichts der häufigen Marginalisierung der im Arbeitsschutz vorgeschriebenen Verhältnisprävention ist das kein Wunder. In der überwiegenden Masse der Programme betrieblicher Gesundheitsförderung wird allerdings immer noch ein Schwergewicht auf die Beeinflussung des Verhaltens Einzelner gelegt. Es ist immer wieder erstaunlich, dass wir uns über psychische Fehlbelastungen wundern, obwohl die Regelverstöße im Bereich des Arbeitsschutzes (der Teil des Gesundheitsschutzes ist) oft sehr offensichtlich sind. Schutzbestimmungen zu missachten hat eben nun einmal schädliche Auswirkungen.