GDA: Hilfestellung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen

Die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes Ende 2013 wird gerne mißverstanden. Die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes ist eine Klarstellung bereits geltenden Rechts. Diese Klarstellung entlässt die Arbeitgeber also nicht aus ihrer Verantwortung für ihre von den Gewerbeaufsichten tolerierten Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz in der Vergangenheit. Wie man richtig darstellen kann, dass die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes nur eine Klarstellung bereits zuvor geltender Vorschriften ist, zeigen die Arbeitgeber (BDA) selbst (2013-08):

[…] Zur Klarstellung dieses bereits heute geltenden Grundsatzes soll das ArbSchG in § 5 Abs. 3 Nr. 6 künftig ausdrücklich um den Gefährdungsfaktor „psychische Belastungen bei der Arbeit“ ergänzt werden. Der Bundestag hat den entsprechenden Gesetzentwurf am 27. Juni 2013 verabschiedet. Das nicht zustimmungspflichtige Gesetz wird voraussichtlich Ende September 2013 den Bundesrat passieren. […] 

Mit diesem Hintergrundwissen zur Änderung des Arbeitsschutzgesetzes Ende 2013 können wir uns nun einer Pressemeldung der GDA zuwenden: http://www.gda-portal.de/de/PresseAktuelles/PresseAktuelles.html

11.09.2014 
Neue GDA-Publikation gibt Hilfestellung bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen
Die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes Ende 2013 hatte es verdeutlicht: Arbeitgeber müssen psychische Belastungen bei der Arbeit in der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung berücksichtigen. Aber wie kann das in der Praxis umgesetzt werden? Eine neue Broschüre der GDA liefert Antworten.
Die im Rahmen des Arbeitsprogramms Psyche erarbeiteten “Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung” erläutern in sieben Schritten die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, ihre Methoden und Instrumente. Mit den Empfehlungen wird ein Korridor beschrieben, innerhalb dessen sich die konkrete Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung bewegen sollte. Die Broschüre richtet sich insbesondere an Unternehmen und betriebliche Arbeitsschutzakteure (u.a. Arbeitgeber, Betriebs-/Personalräte, Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit).

Man sollte nun aber nicht so tun, als ob es bisher keine Hilfestellungen für die Arbeitgeber gegeben hätte. Ein Blick in die jüngere Geschichte des Arbeitsschutzes in Deutschland zeigt, dass sie schon im Jahr 2009 in der LASI-Veröffentlichung 52 nachlesen konnten (wenn es sie interessiert hätte), wie die behördliche Aufsicht psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einbeziehen sollen. Die LV 28 und die LV 21 zur Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz erschienen bereits in den Jahren 2002 und 2003. Auch von der DGUV gab es genügend viel Informationen und Hilfestellungen.
Wenigstens die großen Unternehmen kannten also die Pflichten, gegen die sie verstießen, und die Möglichkeiten, die sie ungenutzt ließen, schon seit vielen Jahren. Da aber auch die überforderten (und z.T. politisch ausgebremsten) Gewerbeaufsichten ihre eigenen Vorgaben kaum umsetzten, konnten die meisten Arbeitgeber zum Nachteil ihrer Mitarbeiter weiterhin ungeniert gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen. Hier begingen einige große Unternehmen, die es wissen mussten, über viele Jahre hinweg vorsätzlich Rechtsbruch. Noch schlimmer: Die Arbeitsschutzmanagementsysteme dieser Unternehmen wurden nach Audits (ohne Beteiligung der Arbeitnehmervertreter) durch unaufmerksame Zertifizierer abgesegnet, obwohl psychische Belastungen in den Gefährdungsbeurteilungen weder prozesshaft noch mitbestimmt erfasst und beurteilt wurden.
Man sieht: Hilfestellungen alleine helfen nicht, denn ohne Kontrolle werden Schutzbestimmungen ganz locker und souverän ignoriert.
Update 2016-01: http://blog.psybel.de/dr_lists_blog_2016021/

ISO 45001: Erster Entwurf liegt vor

http://www.dnvba.com/de/News-Events/News/Pages/Arbeits–und-Gesundheitsschutzmanagement-Erster-Entwurf-der-neuen-ISO-45001-liegt-vor.aspx

… DNV GL wird Sie selbstverständlich über die Entwicklungen auf dem Laufenden halten und im Rahmen von Trainings bei der Umstellung Ihres Managementsystems unterstützen.

Betriebsräte, die Erfahrungen mit Zertifizierern wie DNV GL bei der Umstellung von OHSAS 18001:1999 zu OHSAS 18001:2007 haben, sollten bei der Umstellung auf die ISO 45001 ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten gemäß BetrVG und Absatz 4.4.3.2 (Mitbestimmung) in OHSAS 18001:2007 intensiv nutzen.
Arbeitnehmervertretungen, die noch keine Erfahrungen mit Arbeitsschutzmanagementsystemen (AMS) haben, können im gut lesbaren OHSAS 18002:2008 viel darüber lernen. (Einen daran angelehnten Text gibt es kostenlos auf Englisch.) Das ist OHSAS 18001:2007 mit Tipps zur Umsetzung und bleibt ein immer noch lesenswertes Lehrbüchlein zum Thema AMS. Es könnte sich auch lohnen, einen Berater hinzuzuziehen. Es gibt Zertifizierer, die nur sehr zurückhaltend mit Betriebsräten zusammenarbeiten. Die Arbeitgeber haben ein großes Angebot an bei der DAkkS akkreditierten Zertifizierern, und im Wettbewerb zwischen den Zertifizierern gewinnen nicht notwendigerweise die kritischeren Auditoren.
Für den ersten Enwurf des Standards ISO 45001 muss man im ISO Store 38 Schweizer Franken berappen. Aber man kann sich den Entwurf auch beim BSI ansehen und kommentieren.

Studie zur Gefährdungsbeurteilung zeigt große Defizite in Deutschland auf

Update: 2014-07-18 (siehe Ende dieses Artikels)
http://www.dgppn.de/presse/pressemitteilungen/detailansicht/article/149/psychosozial.html

Pressemitteilung, 10.07.2014 
Psychosoziale Risikofaktoren am Arbeitsplatz: Studie zur Gefährdungsbeurteilung zeigt große Defizite in Deutschland auf
Eine aktuelle Studie der DGPPN und der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Freiburg legt in Deutschland großen Nachholbedarf bei der Gefährdungsbeurteilung psychosozialer Risiken am Arbeitsplatz offen. In vielen europäischen Staaten müssen Arbeitgeber mit deutlich empfindlicheren Sanktionen rechnen, wenn sie der Pflicht der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz nicht nachgehen.
Wenn es um unseren Körper geht, ist Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz heute selbstverständlich. In ganz Deutschland gelten Gesetze und Verordnungen, um Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz zu reduzieren. Diese Maßnahmen waren erfolgreich: In den letzten 50 Jahren ist die Zahl der Arbeitsunfälle um 75% zurückgegangen und befindet sich heute auf einem historisch tiefen Stand.
Im Gegensatz dazu wurde der Schutz vor psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz lange vernachlässigt. Dabei nehmen die Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen quer durch alle Branchen zu. Mit 40 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen stehen sie heute auf Platz zwei der Krankschreibungen. Zudem werden rund 75.000 Menschen pro Jahr aufgrund von psychischen Erkrankungen frühberentet. Andauernde Überforderung am Arbeitsplatz kann sowohl bei der Entstehung als auch bei der Aufrechterhaltung psychischer Erkrankungen von Bedeutung sein.
Ende 2013 reagierte die Politik endlich und nahm die Gefährdungsbeurteilung auch bezüglich psychischer Belastungen im Arbeitsschutzgesetz auf. Allerdings sind die Vorgaben an den Arbeitgeber zur Umsetzung kaum verbindlich geregelt. Eine aktuelle Studie der DGPPN und der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Freiburg zeigt: Die Möglichkeiten der Sanktionierung sind in Deutschland im Vergleich zu europäischen Nachbarländern minimal.
Wer als Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung bei psychosozialen Risikofaktoren vernachlässigt oder gar nicht vornimmt, hat zunächst mit keinen Konsequenzen zu rechnen. Die zuständigen Landesbehörden für Arbeitssicherheit haben in Zukunft auch die Einhaltung der Gesetzesvorgaben für psychische Gesundheitsgefährdungen zu überwachen und den Arbeitgeber auf die Verletzung seiner Pflichten hinzuweisen. Erst wenn nach diesem Hinweis innerhalb einer Frist keine Nachbesserung erfolgt, kann die Pflichtverletzung als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden. Deutschlands europäische Nachbarn sind hier größtenteils in ihrer Gesetzgebung wesentlich konsequenter und können als Vorbild gelten.
[Dieser Absatz ist ein Irrtum.]

Die DGPPN fordert deshalb, psychosoziale Risikofaktoren in der Arbeitswelt stärker zu berücksichtigen und in die gemeinsame Verantwortung von Politik, Arbeitgebern und Beschäftigen zu rücken. Die bisherigen Defizite in der Umsetzung des erweiterten Arbeitsschutzgesetzes sind dringend zu beheben. Es braucht verbindliche Reglungen unter Beteiligung von Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmedizinern mit entsprechender Qualifikation.

Zu “Ende 2013 reagierte die Politik endlich und nahm die Gefährdungsbeurteilung auch bezüglich psychischer Belastungen im Arbeitsschutzgesetz auf.”: In der Rechtsprechung hat sich schon vorher ergeben, dass der Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung zu den Pflichten des Arbeitgebers gehörte. Richtig deutlich wurde das ab etwa 2004. Die Ende 2013 beschlossene Änderung des Arbeitsschutzgesetzes machte nur bereits geltendes Recht deutlicher. Es gibt also keine Entschuldigung, wenn ein Arbeitgeber vor der Gesetzersänderung seine Pflichten im Arbeitsschutz vernachlässigt hat. Die Gesetzesänderung Ende 2013 liefert den Arbeitgebern keine Ausrede.
Zu “Die Möglichkeiten der Sanktionierung [eines fehlenden Einbezugs psychischer Belastungen] sind in Deutschland im Vergleich zu europäischen Nachbarländern minimal,” ist zu sagen, dass es eigentlich genug Möglichkeiten gab, aber in vielen Bundesländern wurden durchaus bestehende Sanktions-Möglichkeiten einfach deswegen nicht wahrgenommen, weil die behördliche Aufsicht versagte. Einerseits behauptete Ursula von der Leyen im Juli 2012, dass das Arbeitsschutzgesetz “streng” sei. Andererseits kamen die Mängel bei der deutschen Arbeitsschutzaufsicht im Jahr 2012 sogar auf die Tagesordnung des Bundestages.
Auch den Arbeitnehmervertretungen, deren Auftrag ebenfalls darin besteht, die Einhaltung von Schutzgesetzen zu sichern, fehlt leider selbst heute noch zu oft die erforderliche Kompetenz und der nötige Durchsetzungwille.
Wer als Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung bei psychosozialen und psychomentalen Risikofaktoren vernachlässigte oder gar überhaupt nicht vornam, hatte bisher leider nur theoretisch mit Konsequenzen zu rechnen. Die Arbeitnehmervertretungen und die zuständigen Landesbehörden für Arbeitssicherheit hatten schon in der Vergangenheit die Gesetzesvorgaben auch im Bereich der für psychischen Gesundheitsgefährdungen zu überwachen und den Arbeitgeber auf die Verletzung seiner Pflichten hinzuweisen. Dummerweise waren sie damit meistens überfordert. Und nachträglich revidieren auch die Gewerbeaufsichten ihre unzulänglichen Audits leider nicht. Das schadet natürlich jenen Arbeitnehmern, die in der Vergangenheit arbeitsbedingt psychisch erkrankten und heute dank der Persilscheine der Gewerbeaufsichten (und anderer Auditoren) rechtswidrig handelnde Arbeitgeber nicht mehr zur Verahntwortung ziehen können.
Interessant ist auch, sich noch einmal die Positionen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz anzusehen.
Die Forderungen der DGPPN sind richtig. In der naturgemäß knappen Pressemeldung der DGPPN kann man die Details nicht nachlesen, die sich in der Studie Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber bezüglich psychischer Belastungen am Arbeitsplatz Ein innereuropäischer Vergleich (Miriam Hofmann, 2014-07) finden. Darin wird der rechtliche Ist-Stand ausgewählter europäischer Länder dem Stand der tatsächlichen Sanktionierungsmöglichkeiten in Deutschland gegenüberstellt.
Links:

Im Ausland ist man auch bei Audits von zertifizierten Arbeitsschutz-Managementsystemen weiter. Hier bieten die Niederlande ein gutes Beispiel.

Praxisleitfaden der Arbeitgeber: Psychische Belastung in der Gefährdungsbeurteilung

Aktualisierung eines Beitrages vom 30. September 2013
http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/res/BDA-Gefaehrdungsbeurteilung.pdf/$file/BDA-Gefaehrdungsbeurteilung.pdf (2013-08, 21 Seiten)

Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz
Besonderer Schwerpunkt: psychische Belastung
Ein Praxisleitfaden für Arbeitgeber
[…]

D. Gefährdungsbeurteilung und freiwillige betriebliche Gesundheitsförderung
Bei der Diskussion um psychische Belastung werden vielfach die sehr unterschiedlichen Handlungsfelder Gefährdungsbeurteilung und betriebliche Gesundheitsförderung vermischt. Während es sich bei der Gefährdungsbeurteilung um eine gesetzliche Aufgabe nach dem ArbSchG handelt, sind Aktivitäten in der Gesundheitsförderung ein freiwilliges Angebot des Arbeitgebers. Eine Trennung beider Bereiche im Unternehmen ist daher sinnvoll. […]

E. Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Gesundheit ist nicht teilbar, körperliche und seelische Gesundheit hängen zusammen und bedingen einander. Deshalb gibt es keine Pflicht zu einer gesonderten Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, wie sie gelegentlich in Unternehmen gefordert wird. Vielmehr gilt, dass der Arbeitgeber im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung auch zu prüfen hat, ob eine Gefährdung durch psychische Belastung besteht.
        Zur Klarstellung dieses bereits heute geltenden Grundsatzes soll das ArbSchG in § 5 Abs. 3 Nr. 6 künftig ausdrücklich um den Gefährdungsfaktor „psychische Belastungen bei der Arbeit“ ergänzt werden. Der Bundestag hat den entsprechenden Gesetzentwurf am 27. Juni 2013 verabschiedet. Das nicht zustimmungspflichtige Gesetz wird voraussichtlich Ende September 2013 den Bundesrat passieren.
        Durch die Formulierung „bei der Arbeit“ wird – so die Begründung des Gesetzentwurfs – deutlich gemacht, dass die Klarstellung nicht bezweckt, den Gesundheitszustand der Beschäftigten generell im Hinblick auf alle Lebensumstände zu verbessern. Die Schutzmaßnahmen betreffen ausschließlich Gefährdungen für die physische oder die psychische Gesundheit der Beschäftigten durch die Arbeit. Andere Beeinträchtigungen liegen außerhalb des Schutzzwecks des ArbSchG und können daher nur Gegenstand freiwilliger Maßnahmen des Arbeitgebers sein. […]

H. Mitbestimmung
Existiert im Unternehmen ein Betriebsrat, steht ihm bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zu. […]

“Deshalb gibt es keine Pflicht zu einer gesonderten Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, wie sie gelegentlich in Unternehmen gefordert wird. Vielmehr gilt, dass der Arbeitgeber im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung auch zu prüfen hat, ob eine Gefährdung durch psychische Belastung besteht.” Was bedeutet das?
Richtig ist, dass psychische Belastungen eine Belastungsart unter vielen anderen Belastungen sind, die die Gesundheit beeinträchtigen könnten. Allerdings werden mit den anstehenden Änderungen im Arbeitsschutzgesetz physische und psychische Belastungen nun getrennt benannt. Und wenn im Arbeitsschutzsystem eines Betriebes Gefährdungsbereiche explizit benannt werden, dann wäre es etwas erstaunlich, wenn der Bereich der psychischen Belastungen fehlt.

  • Richtig ist auch, dass es keine Pflicht zu einer gesonderten Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung gibt.
  • Aber es gibt keinen Grund, psychische Belastungen gegenüber anderen Belastungen gesondert zu vernachlässigen.

Die BDA verschweigt in ihrem ansonsten sehr gut gemachten Leitfaden den Grund für die “gelegentlichen” Forderungen in den Unternehmen: In Betrieben, in denen es einerseits Gefährdungsbeurteilungen für verschiedene Gefährdungskategorien gibt, aber andererseits die Gefährdungskategorie der psychischen Belastungen fehlt, fordern Betriebsräte konsequenterweise, dass es für psychische Belastungen genau so eine gesonderte Beurteilung gibt, wie für die anderen Belastungskategorien. Gerade wenn ein Betrieb einen guten Arbeitsschutz mit verschiedenen Prozessen für die verschiedenen körperlichen Belastungen hat, fällt nämlich gemessen an den eigenen Maßstäben des Arbeitgebers ein Fehlen der Kategorie ausgerechnet der psychischen Belastungen besonders auf, und zwar mindestens als Ordnungswidrigkeit.
Es gab leider Gewerbeaufsichten und Zertifizierungsunternehmen, die das Fehlen eines Prozesses für die Beurteilung psychischer Belastungen neben den vorhandenen anderen Prozessen wiederholt übersahen und Betrieben trotz dieses auffälligen Mangels sogar noch gute Bewertungen gaben. Sie ließen damit besonders in Betrieben mit vielen Bildschirmarbeitsplätzen eine klare Ordnungswidrigkeit zu. Diesen Systemfehler im Aufsichtswesen gibt es seit vielen Jahren. Das ging so weit, dass Arbeitnehmer, die auf diesen Missstand hinwiesen, unter den Augen der Gewerbeaufsicht und der Zertifizierer Nachteile erleiden konnten. Solch eine Aufsicht schützte die Arbeitgeber und nicht die Arbeitnehmer. Und wo jetzt der Mangel auf Betreiben vor allem der Arbeitnehmervertretung behoben wird, interessieren sich die Gewerbeaufsicht und die Zertifizierer nicht dafür, ob der Mangel in der Vergangenheit Mitarbeitern Schaden zugefügt hat. Diese Auditoren müssten dann ja selbst Fehler in der Vergangenheit zugeben.

 
Bedeutung der Arbeitnehmerertretungen
Mit Blick auf die Geschichte der Positionen der BDA ist der Praxisleitfaden der BDA und ihres Instituts (ifaa) aber nun ein deutlicher Fortschritt. Betriebs- und Personalräte sollten sich diesen hilfreichen Leitfaden genau ansehen. Hier verdient die Arbeitgebervereinigung ein Kompliment. Der Abschnitt H zur Mitbestimmung wird Arbeitnehmervertreter besonders interessieren. Er zeigt deutlich, wie wichtig ein Betriebsrat bzw. ein Personalrat ist.
Was machen Arbeitnehmer, wenn es keinen Betriebs- oder Personalrat gibt? Mitbestimmung im Arbeitsschutz kann sogar ein Grund für Betriebsratsgründungen sein. Psychische Fehlbelastungen waren beispielsweise beim Apple Store in München der Auslöser für die Einrichtung eines Betriebsrates im bis dahin in Deutschland “betriebsratsfreien” Konzern.
Das Arbeitsschutzgesetz gibt übrigens von § 15 bis § 17 allen “Beschäftigten” Rechte und Pflichten. Diese Rechte und Pflichten bestehen auch ohne dass ein Betriebsrat existiert, sind aber ohne Betriebsrat in der Praxis natürlich schwerer umzusetzen. Das gilt auch für den § 3:

[Der Arbeitgeber hat] Vorkehrungen zu treffen, daß die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können.

Ohne einen Betriebs- oder Personalrat kann schon die Feststellung der Erforderlichkeit zu einem Problem für die Arbeitnehmer werden.
 
Gesundheitsförderung als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers
Zum Schluss muss noch ein Irrtum korrigiert werden, der sowohl Arbeitgebern wie auch Arbeitnehmervertretern immer wieder gerne unterläuft (Tabelle auf S. 7):

Betriebliche Gesundheitsförderung […] ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers und daher nicht mitbestimmungspflichtig.

Das ist falsch.
Richtig und logisch zwingend ist nur, dass ein Betriebsrat freiwillige Maßnahmen nicht erzwingen kann, sonst wären sie ja nicht freiwillig. Werden sie jedoch in den Bereichen umgesetzt, die insbesondere in den §§ 87 und 89 BetrVG definiert sind, dann gelten die Mitbestimmungsrechte und Mitbestimmungspflichten des Betriebsrates. Der Betriebsrat kann sich z.B. mit Wohltaten wie Fitness-Trainings oder Psycho-Workshops befassen, wenn sie z.B. als Maßnahmen des Arbeitsschutzes dargestellt werden und/oder wenn damit auch die körperliche oder mentale Leistungsfähigkeit von einzelnen Mitarbeitern erfasst werden soll. Und wo die betriebliche Gesundheitsförderung Schnittmengen mit dem Arbeitsschutz hat, muss der Betriebsrat ebenfalls nach § 89 BetrVG mitbestimmen.
Freiwillige Leistungen, die den Arbeits- und Gesundheitsschutz betreffen, sind zwar nicht erzwingbar, aber trotz Freiwilligkeit mitbestimmungspflichtig. Das gilt für alle Maßnahmen, die der Arbeitgeber der behördlichen Aufsicht als Beitrag zum Arbeits- und Gesundheitsschutz darstellt.
Wer meint, dass die freiwillige Teilahme an einem Spiel berechtigt, die Spielregeln missachten zu können, ist noch nicht so richtig erwachsen.

Balsam für die Betriebsratseele

Über http://whitepaper.haufe.de/arbeitsschutz/Abbau-psychischer-Belastungen-am-Arbeitsplatz/ gelangen Sie zu der kostenlosen Präsentation Abbau psychischer Belastungen am Arbeitsplatz von Haufe, “eines der innovativsten Medien- und Softwareunternehmen auf den Gebieten Recht, Wirtschaft und Steuern (RWS) sowie Informationsverarbeitung.” Natürlich soll die Präsentation helfen, Haufes “Arbeitsschutz Office” zu verkaufen, aber wenn das Paket so gut ist, wie die 26seitige Präsentation, dann helfe ich bei der Werbung gerne mit – auch kostenlos 🙂
Die Seiten 18 bis 21 sind Balsam für die Betriebsratseele. Beispiel:

[…]

  • Mitarbeitervertretungen sind häufig die ersten, die von den Beschäftigten über Belastungen informiert werden. Sie haben so das ausgeprägteste Problembewusstsein und die besten Kenntnisse.
  • Betriebs- oder Personalräte haben sehr gute Möglichkeiten, das Thema der psychischen Belastungen beim Arbeitgeber anzusprechen und auf eine Behandlung zu dringen. Dies können einzelne betroffene Mitarbeiter so nicht.
  • Betriebs- oder Personalräte müssen im Verlauf eines Projekts zur Analyse und zum Abbau psychischer Belastungen ohnehin einbezogen werden. Besser ist es, wenn sie nicht nur reagieren, sondern von sich aus aktiv werden.

[…]

Aber auch die wirtschaftlichen Vorteile einer guten Gesundheitsförderung kommen in der schön ausgewogenen Präsentation nicht zu kurz. Die Präsentation ist sowohl arbeitnehmer- wie auch arbeitgeberkompatibel.
Übrigens: Der Hinweis von Haufe, dass Betriebsräte nicht nur reagieren, sondern von sich aus aktiv werden sollten, ist tatsächlich nötig. Obwohl einerseits in vielen Unternehmen die Betriebsräte die treibende Kraft beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz sind, gibt es dennoch in zu vielen anderen Unternehmen Betriebsräte, die von der Komplexität des Themas noch überfordert werden.
Es gibt aber auch ein prominentes Beispiel, dass das Thema “arbeitsbedingte psychische Belastung” sogar der Anlass für die Gründung eines Betriebsrates sein kann.
Noch zwei weitere Lesetipps:

Durchökonomisiert

Besprechung des Buches Und ich? Identität in einer durchökonomisierten Gesellschaft (http://www.zeit.de/kultur/literatur/2014-01/paul-verhaeghe-und-ich):

Sachbuch “Und ich?”
Unsere vorgegaukelte Freiheit
“Identität ist Ideologie”, behauptet Paul Verhaeghe. In seinem neuen Buch weist er dem neoliberalen System die Schuld an unserer psychischen Verfassung zu. von Anja Kümmel […]

Das war schon ein Problem, bevor es das “neoliberale System” gab:

Das Gehirn des modernen Menschen ist ökonomisch verseucht.

Herrmann Broch, Massenwahntheorie. 1939 bis 1948.
3. Teil, Kapitel 5.8. Totalwirtschaft und Totalversklavung

BMAS: Mitbestimmung – Eine gute Sache

http://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/c741-mitbestimmung-cd.html, Oktober 2013

Stand: Oktober 2013
Verfügbarkeit: Verfügbar
Art.-Nr.: C741
Diese CD beinhaltet die Publikation “Mitbestimmung” A741 als PDF- und als Word-Datei und die englischsprachige Publikation „Co-determination 2013“ als PDF-Datei.
Hinzu kommt die Übersetzung des Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft in englischer, französischer, italienischer, niederländisch, norwegischer, polnischer, schwedischer, spanischer, tschechischer und deutscher Sprache – ebenfalls als PDF- und Word-Datei.

 
Die CD war eine Zeit lang nicht lieferbar. Für alle Fälle: