FDP zu spät dran

http://www.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article114765065/Politik-streitet-ueber-Anti-Stress-Gesetz-des-SPD-Senats.html

26.03.13
Psychische Belastung am Arbeitsplatz
Politik streitet über Anti-Stress-Gesetz des SPD-Senats
FDP-Gesundheitspolitiker Wieland Schinnenburg lehnt das Vorhaben ab, Firmen per Gesetz zum Schutz der Mitarbeiter vor psychischen Belastungen zu zwingen. […]

Zu spät. Die Firmen müssen jetzt schon “per Gesetz” ihre Mitarbeiter vor psychischen Fehlbelastungen schützen. Das wird demnächst auch noch ein bisschen klarer im Arbeitsschutzgesetz stehen.
Die Tarifvertragsparteien sind hier übrigens weniger gefragt. Es geht ja schließlich um betriebsnahe Lösungen. Das regeln lokale Betriebsleitungen und lokale Betriebsräte miteinander vorwiegend in Betriebsvereinbarungen, nicht in Tarifverträgen.
Auch geht es dem Hamburger Senat nicht um ein Gesetz, sondern um eine Verordnung.

Ministerium nimmt Personalvertretungen und Betriebsärzte in die Pflicht

Auf eine Anfrage hin hat mir das Bayerische Staatsministerium für Arbeit- und Sozialordnung, Familie und Frauen (Referat II 3; Arbeitsmedizin, Arbeitsschutzorganisation, sozialer Arbeitsschutz) eine freundliche und ehrliche Antwort geschickt.

Vielen Dank für Ihre E-Mail vom 18. Februar 2013 an Staatsministerin Christine Haderthauer, in der Sie über Probleme bei der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der Einbeziehung psychischer Belastungen berichten. Frau Staatsministerin hat uns, als das für die Arbeitsmedizin zuständige Fachreferat, mit der Beantwortung Ihrer E-Mail beauftragt.
Seit dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) im Jahre 1996 hat der Arbeitgeber alle erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit zu treffen. Bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen muss der Arbeitgeber auch die Gefährdung durch „psychische Belastungen“ mit einbeziehen.
Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) hat auf seiner 54. Sitzung im September 2009 in Kiel die Veröffentlichung der LV 52 „Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden“ beschlossen. Basierend auf dieser LASI-Publikation wird künftig in Bayern durch technisches und ärztliches Personal der Gewerbeaufsicht die Beratung zu und die Überwachung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz in den Unternehmen von Seiten der Arbeitsschutzbehörden erfolgen. Diese Handlungshilfe wird es dem Aufsichtspersonal in der Praxis ermöglichen, grob orientierend Anhaltspunkte für psychische Fehlbelastungen in Betrieben zu erkennen und erforderliche betriebliche Maßnahmen anzustoßen.
Derzeit werden die bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamtinnen und -beamten entsprechend geschult.
Zentraler Ansatzpunkt ist die Kontrolle der Gefährdungsbeurteilung. Allerdings ist festzustellen, dass es für die Gewerbeaufsicht oft nur sehr schwer möglich sein wird, auch bei vorhandener Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer Belastungen, im Rahmen einer Betriebsüberprüfung zu erkennen, ob (in bestimmten Bereichen) erhöhte psychische Belastungen vorliegen und ob ausreichende Maßnahmen getroffen wurden, diesen entgegenzuwirken. Einfacher wird es sein in Branchen, in denen es bekannter Weise zu erhöhten psychische Belastungen kommt.
Deshalb und in Anbetracht der sehr limitierten Personalressourcen wird es den bayerischen Arbeitsschutzbehörden nur möglich sein, die Unternehmen für die Belange psychischer Belastungen zu sensibilisieren und eine „Anstoßberatung“ durchzuführen. Kontrollen werden nur in Ausnahmefällen in die Tiefe gehen können.
Es steht außer Frage, dass Gefährdungsbeurteilungen auch in Hinblick auf psychische Belastungen „gelebt“ werden müssen. Die Verantwortung dafür trägt der Arbeitgeber. Sollte es hier Mängel geben, so gibt es ja gerade in großen Betrieben die Möglichkeit Probleme intern, über eine starke Personalvertretung oder den Betriebsarzt anzugehen. Die Behörde wird tätig, sobald ihr Defizite bekannt werden.

(Link und Hervorhebungen nachträglich in den Text eingetragen)
Die “Burnout Detektive” der Ministerin Haderthauer waren dann wohl eher eine Erfindung der Presse.
Es geht vermutlich nicht nur um Ressourcenprobleme, sondern auch um eine Gewerbeaufsicht, die sich gegenüber den Unternehmen nicht wirklich durchsetzen darf. Noch Anfang 2012 traute sich die Gewerbeaufsicht, zu schreiben:

[…] Psychische Fehlbelastungen lassen sich vermeiden. Die bayerische Gewerbeaufsicht überprüft die Betriebe und legt die Abhilfemöglichkeiten in einer Zielvereinbarung fest. […]

Der Text ist inzwischen verschwunden.
Die Überforderung der Gewerbeaufsicht ist übrigens kein ausschließlich bayerisches Problem, sondern sie gefährdet die Arbeitnehmer bundesweit.
 


Vier Anmerkungen zu dem Brief:
Arbeitnehmervertretungen und Betriebsärzte in der Pflicht: Die offene und ehrliche Antwort des Staatsministeriums ist hilfreich, denn sie zeigt eine Lösung auf: Die Arbeitnehmervertretungen und die Betriebsärzte werden in die Pflicht genommen. Diese Lösung gibt es natürlich schon seit es das Betriebsverfassungsgesetz und das heutige Arbeitsschutzgesetz gibt! Aber es ist gut, wenn sich Betriebs- und Personalräte auch einmal von einer eher konservativen Staatsregierung anhören müssen, dass die Gewerbeaufsicht ohne engagierte Arbeitnehmervertretungen und Betriebsärzte auf einem verlorenen Posten steht. Wenn diese Akteure zu schüchtern und zu schlecht ausgebildet sind und die Gewerbeaufsicht nicht auf Defizite hinweisen, dann funktioniert die Kontrolle der Gefährdungsbeurteilung nicht.
Mehrbelastung von Arbeitnehmervertretern und Betriebsärzten: Hier sind Aufgaben auf die Arbeitnehmervertretungen und die Betriebsärzte (aber auch auf die Fachkräfte des Arbeitsschutzes) zugekommen, denen möglicherweise existierende Richtlinien zur Budgetierung nicht mehr gerecht werden. Sie müssen ja nun die Ressourcenprobleme der Behörden kompensieren. Für mutige Arbeitnehmervertretungen ist das kein unlösbares Problem: Zwar gilt weiterhin ein Betriebsverfassungsgesetz mit heute zu wenig Freistellungen, aber auch dank der ehrlichen Darstellung von behördlichem Ressourcenmangel durch Staats- und Bundesministerinnen werden Arbeitsrichter die Ressourcenprobleme der Personal- und Betriebsräte, der Betriebsärzte und der Fachkräfte für den Arbeitsschutz besser verstehen. Allerdings gibt es leider auch Arbeitnehmervertretungen, die zu schwach und zu kleinmütig sind, angemessene Ressourcen (z.B. Weiterbildung, externe Auditoren und Experten usw.) für sich durchzusetzen und Freistellungszeiten über das gesetzlich garantierte Mindestmaß hinaus auszudehnen.
Arbeitnehmervertreter zuständig für die Beurteilung der Arbeitsschutzqualität: Die Antwort des Staatsministeriums erlaubt noch eine weitere Schlussfolgerung: Gibt es nach einer Kontrolle durch die Gewerbeaufsicht keinen Mängelbericht, dann können Betriebe (in Bayern, aber wohl auch in anderen Ländern) trotzdem nicht behaupten, dass die Gewerbeaufsicht ihnen bestätigt habe, dass sie psychische Belastungen pflichtgemäß in den Arbeitsschutz einbeziehen. Das Ministerium verweist uns hier an die Arbeitnehmervertretungen und an die Betriebsärzte.
        Von den beiden genannten Akteuren im Arbeits- und Gesundheitsschutz haben nun wiederum die Arbeitnehmervertretungen die besseren Durchsetzungsmöglichkeiten. (Für die Fachkräfte der Arbeitsschutzes in den Betrieben ist das nicht so einfach.) Wehe den Mitarbeitern der Betriebe, in denen die Betriebsräte oder der Personalräte zu schüchtern oder/und zu schlecht ausgebildet sind, um Ihrer Mitbestimmungspflicht im Arbeitsschutz gerecht zu werden!
Falsches Verständnis von vertrauensvoller Zusammenarbeit: Angesichts der Bedeutung der Betriebs- und Personalräte für die Kontrolle des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist es besonders bedenklich, wenn der Arbeitgeber und die Arbeitnehmervertretung vertrauensvolle Zusammenarbeit falsch verstehen und gemeinsam bei Besichtigungen durch Auditoren, durch die Gewerbeaufsicht und durch die Berufsgenossenschaft jene Vorfälle und Gefährdungen verheimlichen, die als arbeitsbezogene Ereignisse auftraten oder auftreten können, obwohl diese Vorfälle und Gefährdungen zum Beispiel physische und psychische Verletzungen oder Erkrankungen (bei OHSAS 18001 ohne Berücksichtigung der Schwere!) zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. (Erkrankungen sind in diesem Zusammenhang erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert.)
        Solche Arbeitnehmervertretungen sind vielleicht sogar gefährlicher als gar keine Arbeitnehmervertretungen, denn sie nehmen den von ihnen vertretenen Mitarbeitern grundlegende Rechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Ein ziemlich entsetzliches Beispiel: Von konkreten Fällen starker psychischer Fehlbelastung betroffene Mitarbeiter werden alleine gelassen, damit die harmonische Zusammenarbeit zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat bei gemeinsamen Projekten nicht gestört wird.
        Betriebsräte, die (vielleicht in guter Absicht) einer Betriebsleitung helfen, Fälle psychischer Fehlbelastngen und das Fehlen wirklich wirksamer Beurteilungen psychischer Belastungen unter den Teppich zu kehren, werden am Ende zum Dank auch noch über den Tisch gezogen: Wenn der Arbeitgeber sich nach geschickter Vorbereitung und Vertuschungsarbeit in kleinen und unauffälligen Schritten sicher genug fühlt, wird er behaupten, dass sein Arbeitsschutz schon lange ganzheitlich gewesen sei, denn der Betriebsrat hätte ja in der Vergangenheit bei Besuchen der Gewerbeaufsicht die Aufsichtspersonen pflichtgemäß auf Defizite aufmerksam machen können. “Offensichtlich” habe es aber keine Defizite gegeben. Zum Schluss können der Arbeitgeber und die Gewerbeaufsicht den schwarzen Peter so zum Betriebsrat schieben – und zwar zu Recht!
Andererseits: Auch Betriebsräte können ausbrennen.
Noch einmal der Hinweis: LASI-Veröffentlichungen

Politik erleichterte Missachtung des Arbeitsschutzes seit 1996

http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/048/1304854.pdf

Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode
Drucksache 13/4854 (zu Drucksache 13/4756)
12.06.96
Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksachen 13/3540,13/4337,13/4756 –
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien
Bericht der Abgeordneten Manfred Grund, Konrad Gilges, Annelie Buntenbach, Dr. Gisela Babel und Petra Bläss …

… Die Mitglieder der Fraktion der F.D.P. erinnerten daran, daß sie den in der letzten Wahlperiode vorliegenden Gesetzentwurf, der den Arbeitsschutz nicht verbessert, sondern allenfalls bürokratisiert hätte, gestoppt hätten. Mit Genugtuung bewerte man, daß die Bundesregierung nun einen wesentlich vereinfachten, verschlankten und entbürokratisierten Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie vorgelegt habe. Positiv sei insbesondere, daß die Beurteilungs- und Dokumentationspflichten des Arbeitgebers auf ein angemessenes Maß zurückgeführt worden seien. Zudem sei für kleine Betriebe, die weniger als zehn Arbeitnehmer beschäftigten, ein hohes Maß an Flexibilität gewährleistet. Ferner werde auf die Einsetzung neuer bürokratischer Arbeitsschutzgremien verzichtet. Die Mitglieder der Fraktion der F.D.P. machten deutlich, daß es ihnen nicht darum gehe, den Arbeitsschutz soweit wie möglich zu reduzieren; vielmehr gehe es der Fraktion der F.D.P. im Bereich des Arbeitsschutzes nicht um mehr, sondern um bessere Regeln. Man wolle nicht den Arbeitsschutz auf dem Papier immer weiter reglementieren und perfektionieren, sondern seine Umsetzung in der Praxis fördern und verstärken. …

(Siehe auch: http://blog.psybel.de/arbeitsschutzgesetz-im-bundestag/)
Wie sieht nun die Praxis im Arbeitsschutz seit 1996 aus? Die FDP beteiligte und beteiligt sich besonders engagiert an einem Projekt, die Missachtung des Arbeitsschutzes großzügig zu erleichtern. So ist es bis heute möglich, dass Unternehmen ohne ganzheitlichen Arbeitsschutz von überforderten Gewerbeaufsichten immer noch bestätigt wird, ihr Arbeitsschutz sei vollständig in Ordnung. Das liegt zum Teil wohl auch daran, dass Aufsichtspersonen frühere Versäumnisse zugeben müssten, wenn sie gründlich arbeiten würden. Auf dieser Basis können Prüfer und Geprüfte natürlich verständnisvoll miteinander auskommen. Dabei ist es hilfreich, dass man die Beurteilungs- und Dokumentationspflichten des Unternehmers ziemlich vergessen kann.
“Systemkontrolle”: Die FDP setzt (zusammen mit den Arbeitgebern) auf die Kontrolle von Arbeitsschutzmanagementsystemen innerhalb der Privatwirtschaft. In der Folge ist auch die privatwirtschaftlich organisierte Vorzeige-Kontrolle (also das das Zertifizierungsgeschäft) im Bereich des Arbeitsschutzes so konstruiert, dass sie gut aussieht, aber die Arbeitnehmer nicht wirklich schützt. Allerdings verdienen einige Leute mit ihren ritualisierten Kontrollen einiges Geld. Auditoren und Auditierte kommen auch hier gut miteinander aus, und die Betriebsräte sind ahnungslos genug, dass sie die Harmonie des Geschäftes nicht stören.
Es überwiegen interne Audits (Manchmal auditieren Auditoren dabei ihre eigene Arbeit) und Zertifizierungsaudits (Auditoren werden von den Auditierten bezahlt). Dass darüberhinaus Kunden ihre Lieferanten beispielsweise nach OHSAS 18001 auditieren, ist zwar theoretisch möglich, aber in der Praxis haben Kunden kein Interesse, die wirklichen Arbeitsbedingungen bei ihren Lieferanten zu verstehen und eventuell einen kostengünstigen Anbieter zu verlieren.
Seit 1996 ermöglicht eine verlogene und unredliche Politik fast aller etablierten Parteien genau die Anarchie, die heute im Arbeitsschutz herrscht.

Piratenpartei: Nichts gefunden

http://www.piratenpartei.de/?s=Bildschirmarbeit

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Soweit zu den angeblich speziellen Kompetenzen der Partei im IT-Bereich.
 
http://www.piratenpartei.de/?s=gesundheit

Arbeitsschutz 2002:Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung

http://www.boeckler.de/pdf/fof_zwischenbericht.pdf

Bertelsmann Stiftung
und
Hans Böckler Stiftung
Expertenkommission
Betriebliche Gesundheitspolitik
Zwischenbericht
(Gütersloh/Düsseldorf, 22. November 2002) …

S. 11 (PDF: S. 13/80):

… Betriebliche Gesundheitspolitik hat heute in den Unternehmen geringe Priorität – oft über alle Akteursgruppen hinweg. Unternehmen müssen für eine moderne betriebliche Gesundheitspolitik zumeist erst noch befähigt werden. Kleine und mittlere Unternehmen sollten dabei besondere Berücksichtigung finden. Aber auch in größeren und großen Unternehmen besteht aus unserer Sicht beträchtlicher Handlungs- und Entwicklungsbedarf. Befähigung durch Qualifizierung und Austausch von „best-practice“-Beispielen ist wichtig, reicht jedoch nicht aus, um das Eigeninteresse der Betriebe zu wecken. Auch der Gesetzgeber stößt hier an Grenzen, zumal seine Aufsichtsdienste immer mehr der Haushaltslage wegen abgebaut werden. Finanzielle Anreize sollten als „Hebel“ zur Aktivierung betrieblicher Gesundheitspolitik eingesetzt werden. …

S. 12 (PDF: S. 14/80):

Dass Arbeitsschutz eine klassische Aufgabe für Arbeitnehmervertretungen ist, wird nicht immer ausreichend wahrgenommen. Arbeitgeber halten dies oft für eine lästige Pflicht. Notwendigkeiten für ein modernes betriebliches Gesundheitsmanagement und auch seine Möglichkeiten werden oft nicht gesehen oder ernst genommen. …

… Der Staat hat mit seiner neuen Gesetzgebung wichtige Weichen gestellt. Es besteht jedoch eine Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung. Hier sieht die Kommission Handlungsbedarf. Wie zukünftig die Zusammenarbeit zwischen Staat (Bund, Ländern) einerseits und den Unternehmen andererseits zu gestalten sei – auch bei immer angespannterer Lage der staatlichen Haushalte – bedürfe dringend der Diskussion. Klar sei, dass der Staat sich einerseits „auf dem Rückzug“ befinde, andererseits durch die Notwendigkeit zum verstärkten Arbeiten mit finanziellen Anreizen vor neuen Herausforderungen stehe – auch was seine zukünftigen Prüfpflichten betrifft – Stichworte: externe Qualitätssicherung betrieblichen Gesundheitsmanagements und „neuer Interventionstyp“.
Ansätze für einen fortschrittlichen Arbeitsschutz und eine innovative betriebliche Gesundheitspolitik bieten das Arbeitsschutzgesetz seit 1996 und auch das Arbeitssicherheitsgesetz. Ebenso finden sich im SGB VII und SGB V Ansätze. Daher sind im materiellen Recht schon Ansätze vorhanden. Einigkeit besteht, dass es bei der Umsetzung mangelt, jedoch die Gesetze nicht Reformen be- oder verhindern. Die gesetzlichen Grundlagen sollen effizient genutzt werden. Darüber hinaus ist ein neuer Interventionstyp insbesondere für die überbetrieblichen Akteure erforderlich. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)
Die “Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung” ist also schon seit langer Zeit bekannt.
Die heute den Unternehmen von Ursula von der Leyen zugestanden “Unwissenheit und Hilflosigkeit” ist einfach nicht glaubhaft. Die Arbeitgeber haben versagt: Die Experten setzten im Jahr 2002 auf das Eigeninteresse und die Eigenverantwortung der Unternehmer. Heute wissen wir, dass das unrealistisch war. Der “neue Interventionstyp” hat offensichtlich nicht funktioniert, wohl auch wegen Illusionen hinsichtlich dessen, was Unternehmer motiviert. Die Unternehmer haben ihre Chance verspielt, die ihnen gewährte Schonfrist verschlafen und ließen (selbst nach Auffasung der Arbeitsministerin) das Thema der psychischen Belastung einfach schleifen. Der Hauptmotivator ist und bleibt also die Pflicht zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen. Da Einsicht seit mehr als 15 Jahren nicht funktioniert, muss die Erfüllung dieser Pflicht nun wohl doch mit Hilfe von strengeren Kontrollen und Sanktionen durchgesetzt werden. Neue Vorschriften sind eigentlich nicht nötig.

Psychische Belastung bei der CDU/CSU

Die CDA (Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft der CDU/CSU) versucht nun, das Thema des Einbezugs der psychischen Belastungen wieder unter Kontrolle zu bekommen:
http://www.cda-bund.de/uploads/media/Beschluss_Arbeitnehmergruppe_Gesundheit.pdf

Beschluss der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Bundestagsfraktion
Für eine Humanisierung der Arbeitswelt
Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz stärken …

… Dabei wird die Konstellation aus überhöhten eigenen Ansprüchen und nachteiligen Anreizstrukturen als besonders problematisch angesehen. …

Dass das etwas Besondere sei, soll in der FAZ (2011-10-07) geschrieben worden sein. Über diese private Beobachtung hinaus ist aber inzwischen klar, dass sich viele Arbeitgeber nicht für die neuen Anforderungen des Arbeitsschutzes begeistern konnten, um das einmal freundlich auszudrücken. Dass die Verweigerungshaltung der Arbeitgeber für die CSU/CDU nicht besonders erwähnenswert ist, überrascht allerdings nicht. Erst später geht das CDA-Papier an den Kern des Poblems:

… In Deutschland bestehen zahlreiche gesetzliche Regelungen, die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz gewährleisten (z. B. Arbeitsschutzgesetz, Arbeitszeitgesetz, Arbeitsstättenverordnung, Bildschirmarbeitsverordnung, Betriebssicherheitsverordnung, Bundesurlaubsgesetz, Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit, Teilzeit- und Befristungsgesetz und Kündigungsschutzgesetz). Flankiert werden diese Gesetze durch Verordnungen für die jeweils spezifischen Bereiche, in denen sie angewandt werden. Konkretisierende Verordnungen für psychische Belastungsfaktoren gibt es derzeit lediglich in der Bildschirmarbeitsverordnung. Bei der Gefährdungsbeurteilung werden psychische Gefährdungen derzeit überwiegend nicht ermittelt. Für angemessene und wirksame Präventionsmaßnahmen bedarf es allerdings einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung. …

Das ist richtig, vermittelt aber einen falschen Eindruck. Die Rechtsprechung hat durchaus klargestellt, dass Arbeitgeber psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen haben. Dass die Mehrheit das nicht tat, kann spätestens seit etwa 2005 kein Versehen mehr gewesen sein. Vielen Arbeitgebern muss klar gewesen sein, dass sie ihre Ordnungswidrigkeit wissentlich begangen hatten. Einige wehrten sich sogar gegen Betriebsräte, die das Thema aufgriffen.
Im Papier wird nun der Eindruck erweckt, die Arbeitgeber seien bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes überfordert gewesen. Das ist eine Ausrede. Die CDA meint, ihre 22 Forderungen könnten helfen. Darunter diese:


19. Eine konkretisierende Verordnung für psychische Belastungsfaktoren zu erstellen und in ein funktionierendes Arbeitsschutzmanagement zu integrieren, damit bestehende Gesetze (z. B. § 5 Arbeitsschutzgesetz) für Unternehmen verständlicher und besser umsetzbar werden.
20. Sicherzustellen, dass Unternehmen, etwa mittels Anreizsystemen, stärker in die Pflicht genommen werden, in der BGF [Betriebliche Gesundheitsförderung] aktiv zu sein und mit den Sozialversicherungsträgern zu kooperieren.

Es gibt schon genügend viele Betriebe, die gezeigt haben, dass man auch ohne eine sicherlich nicht sehr schnelle Umsetzung der 22 CDA-Forderungen das Arbeitsschutzgesetz gut umsetzen kann. Es ist nicht zu kompliziert, sondern viele Unternehmer mögen das Gesetz einfach nicht. Im aktuellen rechtlichen Umfeld konnten sie die Umsetzung des Gesetzes dann ohne für sie wirklich unangenehme Konsequenzen verweigern. Die Betriebliche Gesundheitsförderung ist in den Betrieben auch schon angekommen. Sie dient gerne auch dazu, den Versuch von Arbeitgebern zu verschleiern, der Verhaltensprävention Vorrang vor der Verhältnisprävention zu geben.
Mit den unter der europäischen Entbürokratisierungsflagge segelnden betrieblichen Vereinbarungen, für die ein einaches Rahmengesetz einen weiten Gestaltungsspielraum geben soll, scheint das nicht so ganz zu klappen, wie sich die Unionsparteien und die Liberalen das vorgestellt haben. Gewünscht war möglicherweise von den Arbeitgebern, dass ihre Gestaltungsspielraum von möglichst wenig konkreten Vorgaben eingeengt wird. Dank des Betriebsverfassungsgesetzes bestimmen die Arbeitnehmervertreter jedoch mit, wie dieser Freiraum ausgefüllt wird: Das Fehlen konkreter Bestimmungen im als Rahmengesetz angelegten Arbeitsschutzgesetz stärkte die Mitbestimmung der Mitarbeiter ganz erheblich. Solange viele Betriebsräte das nicht begriffen, fühlten sich die Arbeitgeber ganz wohl mit dem Rahmengesetz. Aufgeweckte und aufgwachte Betriebs- und Personalräte erreichten dann aber recht gute Lösungen beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz, wenn sie das Thema einmal aufgegriffen hatten. Jetzt merken die Arbeitgeber, was das Fehlen konkreter Vorgaben für die ihnen oft immer noch lästige Mitbestimmung bedeutet. Darum rufen sie nun wohl wieder nach dem Gesetzgeber, dem sie mit entsprechender Lobbyarbeit auch gerne “beraten” möchten.
Wohin die Reise gehen soll, sieht man daran, dass Edmund Stoiber die Bildschirmverarbeitung wieder vereinfachen will. Sie ist in einer Weise konkret, die den Arbeitgebern wohl nicht so liegt.
Wie die CDA, so fordern auch die Gewerkschaften konkretere Verordnungen, aber wahrscheinlich mit unterschiedlichen Vorstellungen. Insbesondere scheint Unternehmern der Vorrang der Verhältnisprävention im Arbeitsschutz ein Dorn im Auge zu sein. Bei der Umsetzung wird genau hingesehen werden müssen, damit die Verordnungen nicht hinter dem zurückbleiben, was gute Betriebsräte erreichen können.
 


2013-01-12
Bald bin auch ich überzeugt: Wir brauchen “eine konkretisierende Verordnung für psychische Belastungsfaktoren”. Ohne so eine Verordnung ist es für Arbeitnehmervertretungen zu schwierig, der Mitbestimmungspflicht gerecht zu werden. Siehe auch: http://blog.psybel.de/systematisch-betriebener-arbeitsschutz/

gesundheitsziele.de(r FDP)

Gemeinsame Pressemitteilung, BZgA und BMG (2012-03-29):

Nationales Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ vorgestellt 
Anlässlich des diesjährigen Weltgesundheitstags am 7. April 2012, hat heute Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr gemeinsam mit Dr. Rainer Hess, dem Vorsitzenden des Ausschusses gesundheitsziele.de, das neue Nationale Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ vorgestellt.
Dazu Bundesgesundheitsminister Bahr [(FDP)]: „Jeder und jede von uns kann in jeder Altersphase mit einer gesunden Lebensführung starten. Das Gesundheitsziel ‚Gesund älter werden’ will zweierlei erreichen: Eine bessere Gesundheitsförderung im Sinne einer Prävention sowie eine bessere Versorgung älterer Menschen im Krankheits- oder Pflegefall. Mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz stärken wir die Rechte der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen in vielen Bereichen und zwar insbesondere in Bezug auf Leistungen, bessere Betreuung, Rehabilitation und Selbstbestimmung sowie Beratung. Darüber hinaus verbessern wir mit der geplanten Präventionsstrategie die Rahmenbedingungen für eine effektive und effiziente Gesundheitsförderung und Prävention, um Krankheiten und Pflegebedürftigkeit möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen. Das Vorgehen bei ‚gesundheitsziele.de’ zeigt in bemerkenswerter Weise, dass es sinnvoll und effektiv ist, bewährte Strukturen wie die Plattform ‚gesundheitsziele.de’ zu nutzen, um sich auf Ziele und Maßnahmen zu verständigen und so das Gesundheitswesen auf konkrete Ziele auszurichten.“
Dr. Rainer Hess weist in seiner Vorstellung des Gesundheitsziels darauf hin:„Die demographische Entwicklung ist eine große Herausforderung unserer Gesellschaft. Wir wollen mit dem Nationalen Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen auch im Alter bei guter Gesundheit sind. Hierzu gibt es viele Anknüpfungspunkte. „Gesund älter werden“ benennt in 13 Zielen konkrete Handlungsfelder und Schwerpunkte, die es aktiv zu bewegen gilt.“
Das Gesundheitsziel wurde seit 2009 im Kooperationsverbund gesundheitsziele.de von einer Arbeitsgruppe von mehr als 30 Vertreterinnen und Vertretern aus Bund, Ländern, Selbstverwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft erarbeitet. Die Arbeitsgruppe wird über die Entwicklung des Ziels hinaus die Umsetzung der Maßnahmen begleiten. Dazu ist es notwendig, dass alle Akteure, die in den Zielen genannt werden, in ihrer jeweiligen Verantwortung Impulse für eine wirkungsvolle Umsetzung setzen. Die Geschäftsstelle von gesundheitsziele.de ist unter dem Dach der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. angesiedelt.
Der Weltgesundheitstag steht in diesem Jahr unter dem Motto „Altern und Gesundheit: Gesundheit erfüllt die Jahre mit Leben“ und macht auf das globale Phänomen der alternden Gesellschaften und deren Folgen aufmerksam. Das neue Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ bietet konkrete Ansätze für die damit verbundenen Herausforderungen. Es benennt Teilziele und Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention, zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung sowie zu besonderen Aspekten für die Zielgruppe 65plus wie dem Thema Demenz.
Das neue Nationale Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ wird wie die vorausgegangenen Gesundheitsziele vom Bundesministerium für Gesundheit als Broschüre zur Verfügung stehen und in vier bis sechs Wochen auch als Download bei www.gesundheitsziele.de eingestellt.

(Text in eckigen Klammern nachträglich eingefügt)
 
http://www.gesundheitsziele.de/cgi-bin/render.cgi?__cms_page=nationale_gz/depressive_erkrankungen

Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln
Relevanz:
Depressionen gehören weltweit zu den häufigsten Formen psychischer Erkrankungen. Damit stellen psychische Erkrankungen zunehmend die Ursache für Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit dar. Rund ein Drittel aller Frühberentungen sind auf seelische Erkrankungen zurückzuführen. Nach Prognosen der WHO werden im Jahr 2020 Depressionen weltweit die zweithäufigste Krankheit darstellen. 45-70% aller Suizidopfer in Deutschland (2004: 11.000) haben Schätzungen zufolge zuvor an einer Depression gelitten.1
Ziele:

  • Ausreichender Wissensstand über das Krankheitsbild und seine Folgen in der Bevölkerung (Aktionsfeld Aufklärung)
  • Reduktion von Auftreten und Krankheitslast depressiver Erkrankungen (Aktionsfeld Prävention)
  • Verhinderung von Suiziden, Verkürzung von Krankheitsphasen (Aktionsfeld Diagnostik, Indikationsstellung und Therapie)
  • Frühzeitiges Erkennen von Erkrankten und deren umfassende und schnelle Behandlung (Aktionsfeld Diagnostik, Indikationsstellung und Therapie)
  • Stärkung der Position der Patient(inn)en und ihrer Angehörigen (Aktionsfeld Stärkung der Patient(inn)en und Betroffenen)
  • Verbesserung der Langzeitbehandlung Betroffener (Aktionsfeld Rehabilitation)
  • Bedarfsgerechter Zugang zu Versorgungsstrukturen (Aktionsfeld Versorgungsstruktur)

Empfohlene Startermaßnahmen:

  • Verbreitung und Weiterentwicklung von evidenzbasierten, allgemeinverständlichen Informationen über Krankheitsbild und Behandlungsmöglichkeiten
  • Ausbau und Koordinierung von regionalen Bündnissen gegen Depression
  • Flächendeckende niedrigschwellige Beratungs- und Hilfsangebote für Kinder psychisch kranker Eltern
  • Verhinderung von Nachahmungssuiziden, sensible Medienberichterstattung
  • Praxisbezogene und wiederholte Aus-, Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen zu kommunikativer Kompetenz für Behandelnde der verschiedenen Professionen
  • Fortbildungsprogramme zur “Partizipativen Entscheidungsfindung”
  • Evaluierte Indikationskriterien für die Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen
  • Implementation der evidenzbasierten und allgemein konsentierten Leitlinie Depression
  • Erweiterung des betrieblichen Arbeitsschutzes um Maßnahmen zur Reduzierung psychischer Belastungen
  • Fachgruppen- und sektorenübergreifende Zusammenarbeit in vernetzten Versorgungsstrukturen (Integrationsverträge nach §140 SGBV)

“Erweiterung des betrieblichen Arbeitsschutzes um Maßnahmen zur Reduzierung psychischer Belastungen” ist für gesundheitsziele.de nur ein Nebenthema, obwohl der Mensch einen großen Teil seines Lebens bei der Arbeit verbringt. Insbesondere ist der Satz aber Unsinn, denn jede Arbeit ist Belastung. gesundheitsziele.de sollte eigentlich mehr Ahnung von diesem Thema haben. Richtig muss es heißen: “Erweiterung des betrieblichen Arbeitsschutzes um Maßnahmen zur Reduzierung psychischer Fehlbelastungen”.
Die FDP nimmt die Arbeitgeber nicht genügend in die Verantwortung.

Mehr Eigenverantwortung der Beschäftigten

http://www.gutearbeit-online.de/archiv/beitraege/2009/2009_08_05_07.pdf

Arbeitgeber gegen „Neue Kultur der Arbeit“ 
Eine neue Kultur der Arbeit ist nicht erforderlich, es gibt sie schon. Im Grunde ist die Arbeitswelt völlig in Ordnung, was fehlt, ist lediglich mehr Eigenverantwortung der Beschäftigten. Mit dieser Herangehensweise haben Arbeitgeberverbände nicht nur erwartungsgemäß die Initiativen der Gewerkschaften für Gute Arbeit angegriffen, sondern auch dem gerade erst gestarteten Projekt des Bundesarbeitsministeriums für eine Neue Kultur der Arbeit in der vorgeschlagenen Form eine deutliche Absage erteilt. …

… Die vom BMAS gewählte Bezeichnung „Neue Kultur der Arbeit“ wurde von der BDA rundweg abgelehnt. Sie impliziere eine Kritik an der jetzt schon bestehenden „Kultur der Arbeit“, die nicht akzeptiert werden könne. „Menschenwürdige und menschengerechte Arbeitsbedingungen“ seien in Deutschland eine „Selbstverständlichkeit“, das Arbeitsschutzniveau sei hoch und liege „europaweit über dem Durchschnitt“. Als alternativen Titel schlug die BDA vor: „Für eine moderne Kultur der Arbeit – gemeinsam Arbeits-und Beschäftigungsfähigkeit sichern“. Weiter bestehende „Beschäftigungshemmnisse“ müssten beseitigt werden; dazu wird z.B. eine Fortsetzung der vergangenen Arbeitsmarkt-„Reformen“ angemahnt. Sie dürften nicht „verwässert oder rückgängig gemacht“ werden. …

… Eine auch nur vorsichtige Kritik der Kurzfristökonomie, die die Finanz-und Wirtschaftskrise maßgeblich verursacht hat, wird ebenfalls zurückgewiesen. Die BDA verlangt, den vom BMAS vorgeschlagenen Satz „Mit einer kurzfristig ausgerichteten Wettbewerbstrategie werden Unternehmen den neuen Herausforderungen immer weniger gerecht“ zu streichen. Der Satz enthalte eine „unangebrachte, verallgemeinerte Kritik an den Unternehmen“. …

Beschäftigte sollen mehr „Eigenverantwortung“ zeigen
Eine „moderne Kultur der Arbeit“, wie die Arbeitgeber sie sehen, liegt nach Auffassung der BDA „in der Verantwortung aller“, „insbesondere der Beschäftigten“. Diese „Eigenverantwortung“ der Beschäftigten wird im BDA-Papier in vielen Zusammenhängen immer wieder nachdrücklich hervorgehoben. „Eigenverantwortung“ ist ein neoliberales Lieblingsschlagwort – gemeint ist immer die Verantwortung der anderen, in diesem Fall der Beschäftigten. Der Grundgedanke des Arbeitsschutzgesetzes, dass nämlich der Arbeitgeber die Letztverantwortung dafür trägt, dass die Beschäftigten unter Bedingungen arbeiten, die ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden nicht beeinträchtigen, ist hier völlig aus dem Blickfeld.
So müssten die Arbeitnehmer „verstärkt Eigenverantwortung und -initiative in der beruflichen Weiterbildung übernehmen“, diese also offenbar in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten absolvieren, weil sie selbst ja auch von ihr profitierten. Auch für den Erhalt ihrer „Arbeits-und Beschäftigungsfähigkeit“ sollen sie „Eigenverantwortung“ übernehmen. Sie sollen z.B. „selbst ihr Möglichstes tun, um ihre Arbeits-und Beschäftigungsfähigkeit bis zur Rente zu erhalten“. Auch die betriebliche Gesundheitsförderung soll dazu beitragen, die „Eigenverantwortung“ zu stärken. „Bei der Gesunderhaltung“, so heißt es im BDA-Papier weiter, „kommt es in erster Linie auf die Eigenverantwortung und die Bereitschaft des Einzelnen zur Mitwirkung an“. Bisherige Regelungen, die den Beschäftigten ein sozialverträgliches früheres Ausscheiden aus dem Arbeitsleben ermöglichen, sind so gesehen „Fehlanreize“, die diese Eigenverantwortung behindern. Selbst wenn man dem allem zustimmen würde, bliebe doch immer noch die Frage, welchen konkreten Beitrag die Arbeitgeber denn zur Gesunderhaltung der Beschäftigten zu leisten gedenken: Außer der Beteuerung, dass ja schon alles getan werde, findet sich dazu aber kein einziger Gedanke. An einigen Stellen wird lediglich auch an die Verantwortung der Politik erinnert. Die Verantwortung der Arbeitgeber selbst kommt nicht vor. …


Arbeitgeber nicht zur Prävention verpflichtet?
Schließlich wird noch fälschlich die betriebliche Gesundheitsförderung mit Prävention gleichgesetzt. Betriebliche Gesundheitsförderung sei eine freiwillige Maßnahme der Betriebe. Weiter heißt es dann: „Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf deshalb nicht zur Pflicht der Arbeitgeber umgemünzt werden.“ …

Werden Arbeitgeber Arbeitgeber, dann übernehmen sie damit die Veraltwortung für die im Arbeitsschutz vorgeschriebene Verhältnisprävention. Der letzten Absatz zeigt jedoch, wie die BDA den seit etwa 2005 eindeutig pflichtverletzenden Umgang von etwa 70% der Arbeitgeber mit dem Arbeitsschutz zur Norm erklären möchte. Der Trick der BDA geht aber noch ein bisschen weiter: Sie sieht die Prävention als gesellschaftliche Aufgabe. Darin bettet sie auch die “Betriebliche Gesundheitsförderung” ein. Und die ist tatsächlich eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber. Arbeitgeber können solche Leistungen natürlich viel leichter einstellen oder zurücknehmen, wenn die Arbeitnehmer sich “einmischen”. “Mitbeteiligung” oder “Einbezug des Betriebsrates” finden Arbeitgeber akzeptabel, “Mitbestimmung” mögen sie nicht so sehr. Forderungen der Vertreter der Arbeitnehmer, beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz mitzubestimmen, können sie nicht so einfach mit der Rücknahme vorgeschriebener Leistungen abwehren. Das sollte hier eigentlich die Mitbestimmung sichern.
Die Strategie der Arbeitgeber ist nun, auch den vorgeschriebenen Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz in die freiwillige Gesundheitsförderung einzubauen. Bei Unternehmen, die verantwortlich handeln, ist das durchaus sinnvoll. Jedoch bei Unternehmen, in denen wichtige Regeln des Arbeitsschutzes bisher schon beharrlich missachtet wurden, könnte nun versucht werden, zwei Fliegen mit einer Klappe zu erschlagen – wenn der Betriebsrat nicht sehr kompetent und durchsetzungsfähig ist:

  • Die Verhältnispravention kann gegenüber der Verhaltensprävention leichter marginalisiert werden.
  • Die Grenzen zwischen freiwilligen und vorgeschriebenen Leistungen werden unscharfer, was wiederum die Mitbestimmung erschwert. Auf diese Weise kann die Mitbestimmung elegant behindert werden, ohne dass daraus eine Straftat wird.

Die Gesundheitsförderung wird dabei den Mitarbeitern als ein Angebot verkauft, das sie “eigenverantwortlich”, “erwachsen” und “selbstbestimmt” annehmen können – oder auch nicht. Man kann die Leute ja nicht zu ihrem Glück zwingen. Viele Arbeitgeber, die (leider auch unter den Augen der Gewerbeaufsichten, Berufsgenossenschaften und Krankenversicherungen) ihrer eigenen Verantwortung zum Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz seit vielen Jahren nachhaltig nicht gerecht wurden, könnten nun mit einer Strategie zur Vermeidung eigener Verantwortung und Haftung versuchen, die Gesundheitförderung zur Holschuld der Mitarbeiter zu machen. Wenn die Mitarbeiter diese Angebote nicht eigenverantwortlich nutzen, dann sind die Mitarbeiter daran selbst schuld.
Dazu passt, dass Topmanager ihre Spitzengehälter vorwiegend mit dem rechtfertigen, “was der Markt will”. Dann müssen solche Einkommen nicht mehr mit hoher Verantwortung begründet werden.
 
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Kontrolldruck

http://www.sueddeutsche.de/bayern/hygiene-skandal-bei-mueller-brot-rote-ampel-fuer-den-verbraucherschutz-1.1285365

Hygiene-Skandal bei Müller-Brot
Rote Ampel für den Verbraucherschutz
16.02.2012, 10:14 Von Daniela Kuhr
Die Verbraucher hätten schon deutlich früher von den Missständen bei Müller-Brot erfahren. Wenn denn die Verbraucherschutzminister in 2011 eine Hygiene-Ampel eingeführt hätten. Haben sie aber nicht, denn ausgerechnet Bayern hat ein Veto eingelegt.
Mäusekot, Kakerlaken und Motten … … …

Na Mahlzeit. Die zurückhaltende Lebensmittelkontrolle bei Müller-Brot hatte Arbeitsplätze nicht gerettet, sondern sie vernichtet. Verantwortlich ist dafür eine wohl politisch gewollte Schwächung der staatlichen Aufsicht.
Die Lebensmittelkontrolleure fordern mehr Personal. Sie tun das nicht erst seit heute. Von Martin Müller (Vorsitzender des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure) erfahren wir (heute in B5 aktuell), dass 2500 Kontrolleure mehr als 1,1 Millionen Betriebe überwachen müssen. Fachleute wüssten seit langer Zeit, das es in vielen Betrieben Hygienemägel gebe. Aber die Kontrolleure könnten den “Kontrolldruck” nicht aufrecht erhalten, den viele Betriebe bräuchten.
Da Politiker das wussten, wollten sie nicht hinsehen. Diesen Vorsatz sehe ich auch bei der Überprüfung der Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften. An den Aufsichtsbeamten liegt das eher nicht, sondern an der politischen Führung. Auch hier stinkt der Fisch immer noch vom Kopf.