Dräxlmaier: Belastungen und Erkrankungungen vermischt

http://www.buero-fuer-arbeitsschutz.de/praxis/praxis_bv.html#draexl

Dräxlmaier, Vilsbiburg
Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsanalyse und -beurteilung, Stand 13.03.2008
Siehe dazu auch Kategorie “Checklisten/Fragebögen”.

Die BV dieses Unternehmens muss kritisch gelesen werden. Gut ist, dass die Unterweisung vor die Gefährdungsbeurteilung gestellt ist. (Es gibt allerdings ein BAG-Beschluss, der erst die Gefährdungsbeurteilung fordert.) Schlecht ist, dass die Gefährdungsbeurteilung “Belastungen und Erkrankungen erkennen” soll. Das “Erkennen von Erkrankungen” kann Mitarbeiter unter Druck setzen und ist nicht die Aufgabe einer Gefährdungsbeurteilung. Es gibt andere und legitime Prozesse zum Erkennen von Erkrankungen. Und “Die GFA/GFB ist bei wesentlichen Veränderungen der Arbeitsplätze, bzw. alle 4 Jahre zu wiederholen,” ist nicht bedarfsgerecht.

E.ON verquirlt Erkrankung und Gefährdungsbeurteilung

Die BBK 03/210:

… Im Rahmen des Deutschen Unternehmenspreises Gesundheit 2009 wurde der Energieversorger mit dem Sonderpreis „Psychische Gesundheit“ ausgezeichnet, weil er sein Gesundheitsmanagement unter dem Schlagwort „Energie zum Leben“ seit 2008 gezielt und dauerhaft um Aktivitäten zum Themenfeld „Psychische Gesundheit“ ergänzt hat. …

Artikel in der BKK 03/2010 (PDF, 247 KB):

… Vor allem aber zeigt die Rückmeldung: Mitarbeiter wie Multiplikatoren sind daran interessiert, das Thema “Psychische Erkrankungen” dauerhaft in der Agenda zu halten. Dafür spricht die explizite Nachfrage nach langfristigen Angeboten wie individuelle Coachings, insbesondere aber das Ziel, psychische Belastungen fest in die betriebliche Gefährdungsbeurteilung zu integrieren. Schon im März soll es dazu ein Pilotprojekt geben. Anfang nächsten Jahres soll die erweiterte Gefährdungsbeurteilung unternehmensweit zum Einsatz kommen. …

Das sollte gerade nicht passieren: E.ON verquirlt Verhaltensprävention und Verhältnisprävention, Erkrankung und Gefährdungsbeurteilung. Hier muss einmal das Motto von blog.psybel.de in Erinnerung gerufen werden: Der Arbeitsschutz fragt nicht nach “auffälligen” Mitarbeitern, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen! Natürlich sind auch psychische Erkrankungen von Mitarbeitern ein Thema. Es ist anerkennenswert, wenn sich Unternehmen im Bereich des Gesundheitsmanagements engagieren, und es gibt auch Forschung (z.B. bei der DGUV) dazu. Aber die Trennung von Verhaltensprävention und Verhältnisprävention (mit dem vorgeschriebenen Vorrang der Verhältnisprävention) wichtig, damit bei Arbeitsplatzproblemen nicht Druck auf Mitarbeiter ausgeübt werden kann. Ich hoffe, das E.ON hier nur eine sprachliche Panne passiert ist.
Siehe dazu auch eine Veröffentlichung der BDA, Nov. 2010: Arbeitsschutz und Gesundheitsfärderung: Unternehmen engagiert und erfolgreich. Hier ist die Trennung zwischen “gesetzlich verpflichtendem Arbeits- und Gesundheitschutz” und “freiwilliger Beteiligung” an der “Gesundheitsförderung” keine unbedeutende Nebensache: Die Unterscheidung zwischen “verpflichtend” und “freiwillig” kann den Arbeitgebern bei der Schwächung der starken Mitbestimmungspflicht der Arbeitnehmer im ganzheitlichen Arbeitsschutz helfen.

SICK ist gesund

Aktualisierung: 2011-08-30
SICK AG: Für das Unternehmen ist die ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung zur Erfassung vor allem der psychischen Gefährdungen das wichtigste Instrument im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Frank Hauser (Great Place to Work® Institute Deutschland) und Friederike Pleuger (SICK AG), Einleitung zum Kapitel 20 im Fehlzeitenreport 2009, Springer 2009 (ISBN 9783642010774):

“… Mit gutem Beispiel voran geht die SICK AG, der diesjährige Preisträger des Great Place to Work® Sonderpreises Gesundheit: Die SICK AG verfolgt ein umfassendes Konzept zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM). Als wichtigstes Instrument dient dabei die ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung zur Erfassung vor allem der psychischen Gefährdungen. Unter wissenschaftlicher Begleitung wird mit aktiver Beteiligung u. a. von Geschäftsleitung, Betriebsrat und Betriebsärztlichem Dienst ein Instrument zur Erfassung der psychischen Gefährdungen am Arbeitsplatz entwickelt. Nach der Ableitung von Maßnahmen und deren Umsetzung wird der gesamte Prozess durch Wirksamkeitskontrollen evaluiert.”

Der Betriebsrat des SICK AG war hier zunächst die treibende Kraft. Er schaltete anfangs eine Einigungsstelle ein, um mit einer kurzen Betriebsvereinbarung (2004) zu Gefährdungsbeurteilungen usw. die Voraussetzung für eine später (2007) folgende ausführliche Betriebsvereinbarung zum ganzheitlichen Gesundheitsmanagement zu schaffen. (Ich schreibe das nicht als Kritik an SICK. Sondern zu oft wird in Belegschaften gefragt, was ein Betriebsrat eigentlich macht. An diesem Beispiel sieht man: Ein guter Betriebsrat hilft dem ganzen Unternehmen.) Inzwischen kann man wohl sagen, dass hier sowohl die Arbeitgeber wie auch die Arbeitnehmer Pionierarbeit geleistet haben. Und es gab eine gute wissenschaftliche Begleitung. So sieht professionelle Arbeit aus:

 
Zum Erfolg der ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung in einer Abteilung (F. Pleuger, Betriebsärztin):

  • Verbesserung der Arbeitsplatzsituation und des subjektiven Wohlbefindens seit der GGB: 50%
  • Verbesserung der Zusammenarbeit in der Abteilung seit der GGB: 78%
  • GGB hat sich gelohnt: 72%
  • Verbesserung der eigenen Arbeitsqualität und der Arbeitsergebnisse seit der GGB: 33%
  • Durch die GGB mehr über mögliche Belastungen am Arbeitsplatz und mögliche Gegenmaßnahmen gelernt: 33%
  • Raumsituation (Platzmangel) hat sich verbessert: 68%
  • Lärmbelastung konnte deutlich reduziert werden: 50%
  • Verbesserungen hinsichtlich Arbeitsmenge/ Zeitdruck: 28%

 
Siehe auch: Büro für Arbeitsschutz: Liste von Betriebsvereinbarungen verschiedener Unternehmen

Entbürokratisierung

Zu oft ist “Entbürokratisierung” nur die Verlagerung von Regelungsarbeit (Verhandlungen usw.) aus einem Bereich (z.B. Gesetzgebung) in einen anderen Bereich (z.B. Erarbeiten von Betriebsvereinbarungen). Sind die Betroffenen dort auf die Arbeit (Ressourcen, Wissen, Budgets usw.) vorbereitet, die zu ihnen verschoben wurde?
Sowohl Arbeitnehmern wie auch Arbeitgebern erscheint im Bereich beispielsweise der Analyse von Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung) immer noch Vieles unklar. Stehen beide Parteien noch am Anfang, dann fällt beiden beim Ansprechen psychischer Belastung zunächst oft nichts Besseres ein, als auf mögliche “Probleme” individuell Betroffener und auf vom Arbeitgeber nicht beeinflussbare Faktoren hinzuweisen. Für Betriebsräte ist das Thema sehr gewöhnungsbedürftig, insbesondere wenn es um ihre eigene Belastungen geht. Und überforderte Arbeitgeber setzen ihre Mitarbeiter, die Fehlbelastungsmeldungen an ihre Sicherheitsfachkraft abzugeben wagen, unter noch weiteren Druck, wenn sie mit der Forderung nach einer psychische Belastung einbeziehenden Gefährdungsbeurteilung nicht umgehen können oder wollen. Darum müssen Betriebsräte (wo es sie gibt) schnell Kompetenz erwerben, damit sie einzelne Mitarbeiter beim Einreichen von Fehlbelastungsmeldungen unterstützen können.
Ein Grund für die sich aus dem großen betrieblichen Ausgestaltungsbedarf der Arbeitsschutzvorschriften ergebenden Herausforderungen ist das Konzept der europäischen Arbeitsschutzes: Vorgeschrieben ist mit dem Ziel der Entbürokratisierung wegen der Unterschiede der innerbetrieblichen Situationen nur ein Rahmen, innerhalb dessen in Unternehmen ihren betrieblichen Anforderungen gemäße Umsetzungen des Arbeitsschutzes vereinbart werden müssen. Das bedeutet aber nicht, dass Arbeitgeber und Laienpsychologen hier einen beliebigen Freiraum zur Umsetzung ihrer persönlichen Vorstellungen haben, sondern es gilt die Mitbestimmung, und für die Umsetzung sind qualifizierte Fachkräfte vorgeschrieben, deren Auswahl und Einsatz ebenfalls mitbestimmt zu regeln ist.
Daraus ergibt sich für die Betriebsräte und Personalvertretungen eine sehr umfassende Aufgabe, denn der Gestaltungsspielraum, den das Arbeitsschutzgesetz dem Arbeitgeber gibt, muss mit einer auf den Betrieb abgestimmten Definition und Implementierung von Prozessen ausgefüllt werden. Das führt zu einer Pflicht (BAG, 2004-06-08: Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 (siehe insbes. Punkte 12 und 33) und AZ 1 ABR 13/03) zur Mitbestimmung. Dabei müssen aber keine Grundlagen mehr erarbeit werden, denn es stehen schon seit einiger Zeit gute Prozesse und Werkzeuge zur Verfügung, mit denen Unternehmensleitungen und Arbeitnehmervertreter zügig ihren arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen entsprechen können.
Hier zeigen sich, wie (für wen und für wen nicht) die Entbürokratisierung in der Gesetzgebung funktioniert. So wie es derzeit aussieht, funktioniert sie für jene, die den Arbeitsschutz für eine Belästigung der Wirtschaft halten: Nach fast 15 Jahren kann die große Mehrheit der Unternehmen in Deutschland es sich immer noch leisten, wichtige Regelungsvorgaben des Arbeitsschutzgesetzes zu missachten. Was hindert uns daran, diese Missachtung des Arbeitsschutzes durch viele Unternehmen als Anarchie zu bezeichnen?

Mitbestimmung: Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung

Zusammengestellt und kommentiert von Wolfgang Schneider, Düsseldorf, 2004-08-20:
Mitbestimmung bei der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz und der Bildschirmarbeitsverordnung sowie bei der Unterweisung nach dem Arbeitsschutzgesetz
zu den BAG-Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 und AZ 1 ABR 13/03 (2004-06-08)

2010: Ganzheitlicher Arbeitsschutz nur bei 16% der Betriebe

Die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (aus einem Bericht von Ina Krietsch und Thomas Langhoff, Prospektiv GmbH, Dortmund für BAuA/GRAziL, 2007-09 – 2010-04) sehen immer noch so aus:

  1. Fehlende Handlungsbereitschaft: Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.
  2. Geringe Handlungskompetenz: Weder bei betrieblichen noch bei überbetrieblichen Arbeitsschutzakteuren ist in der Breite eine ausreichende Kompetenz zum Umgang mit dem Thema “Psychische Belastungen” vorhanden.
  3. Schwierige Kooperation: Von Betriebsrat, Arbeitgeber und betrieblichen Arbeitsschutzakteuren bei der GB zu psychischen Belastungen bzw. unzureichende Abstimmung der Akteure untereinander.

(Siehe dazu auch http://www.arbeitstattstress.de/2011/01/inwieweit-werden-psychische-gefaehrdungen-in-den-betrieben-beurteilt/.)
Die einzige Krankheitskategorie, in der von den Versicherungen eine Zunahme von Fehlzeiten am Arbeitsplatz beobachtet wird, ist die Kategorie der psychischen Erkrankungen. Aber ausgerechnet in diesem Bereich werden in Deutschland die Arbeitsschutzvorschriften nicht durchgesetzt:

Obwohl die Betriebe seit 1996 durch das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet sind, körperliche wie auch psychische Arbeitsbelastung am Arbeitsplatz im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln und sie so gering wie möglich zu halten, ist dies in vielen Betrieben immer noch nicht umgesetzt. Vor allem werden psychische Arbeitsbelastungen dabei nach wie vor kaum berücksichtigt.
(inqa.de, BAuA: Unterweisung, 2006, S. 8)

Aus der Betriebsrätebefragung 2008/06 des WSI (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung) ergibt sich:

Psychische Gefährdungen werden kaum berücksichtigt
Trotzdem steht es um die Gefährdungsbeurteilung und insbesondere um die Berücksichtigung der psychischen Belastungen in den Betrieben nicht gut, wie die WSI- Betriebsrätebefragung 2008/09 ebenfalls zeigt:

  • Gefährdungsbeurteilungen nach dem Arbeitsschutzgesetz werden nur von einer Minderheit der Betriebe (46%) durchgeführt.
  • Aus dieser Teilgruppe berücksichtigen nur 29% der Betriebe auch psychische Belastungen.
  • Also haben nur 16% aller befragten Betriebe in ihren Gefährdungsbeurteilungen auch psychische Arbeitsbelastungen berücksichtigt.

Die entsprechenden Vorschriften des Arbeitsschutzes gibt es seit 1996. Gestärkt wurden sie in den Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 (siehe insbes. Punkte 12 und 33) und AZ 1 ABR 13/03 des Bundesarbeitsgerichtes zur Mitbestimmung aus dem Jahr 2004.

Unterweisung an Mitarbeiter und Führungskräfte

Chr. Eggerdinger, M. Giesert, hg. V. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), INQA Bericht Nr. 7, Unterweisung: Führen, Beteiligen, Erkennen und Vermindern von psychischen Belastungen, Düsseldorf 2004
Kurzbeschreibung (Quelle: INQA, Januar 2011):

Handlungshilfe “Unterweisung”
Regelmäßige und umfassende Unterweisungen sind die Grundlage für einen modernen Arbeitsschutz im Betrieb und damit gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung für eine gute Produktivität und Qualität der Arbeit im Unternehmen sowie für gesundheitsgerechtes und sicheres Arbeiten der Belegschaft.
Der INQA-Bericht Nr. 7 “Unterweisung: Führen, Beteiligen, Erkennen und Vermindern von psychischen Belastungen” gibt die Vorgehensweise, die Ergebnisse und Erfahrungen wieder, die im Rahmen eines praxisbezogenen INQA-Projektes gemacht wurden.
Als Arbeitsergebnis in diesem Projekt ist eine Handlungshilfe entstanden,

  • die Vorgesetzten helfen soll, Unterweisungen zu einem effektiven Instrument der Führung für Arbeitssicherheit und Gesundheit zu machen,
  • die Betriebsleitungen helfen kann, das Unterweisungswesen an die gesetzlichen Vorgaben anzupassen und entsprechend zu reorganisieren,
  • die anregen soll, das Unterweisungsgespräch nicht mehr als eine lästige, formale Pflichterfüllung zu betrachten, sondern als wirksames Instrument der Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern,
  • die ermöglicht, die Beschäftigten mit einzubeziehen und damit Voraussetzungen schafft, den kontinuierlichen Prozess der Gefährdungsbeurteilung zu gestalten.

Damit richtet sich diese Borschüre in erster Linie an:

  • Geschäfts- und Betriebsleitungen,
  • Führungskräfte,
  • Sicherheitsfachkräfte,
  • Betriebsärzte und
  • betriebliche Interessensvertretungen (Betriebs- und Personalräte).

Diese Handlungshilfe ist sehr praktisch: Sie zeigt nicht nur, wie Unterweisungen aussehen müssen, die über reine Pflichtübungen hinausgehen. Sondern man bekommt auch gleich einen Überblick über den Lernstoff und die Lernziele.
(In das gleiche Horn stößt http://www.arbeitstattstress.de/2011/01/psychische-belastungen-richtig-unterweisen/.)
Übrigens, das Unterweisungswesen über körperliche und psychische Belastungen unterliegt der Mitbestimmungspflicht. Schon die ungenügende Unterweisung und Qualifikation von Führungskräften und Mitarbeitern ist eine Gefährdung. Besteht eine solche Gefährdung, so muss sie in der Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden. Noch zwei Zitate aus der Handlungshilfe:

  • „Die Gefährdungsbeurteilung ist gemäß §5 Arbeitsschutzgesetz durchzuführen. … Als Gefährdung ist dabei mit einzubeziehen, wie gut die Qualifikation und die Unterweisung der Beschäftigten ist und wie gut das Unterweisungswesen im Betrieb funktioniert. Es kommt darauf an, die Abläufe und die Organisation der Unterweisung sowie die gelebte Praxis zu untersuchen.“
  • „Die Unterweisung muss ausreichend und umfassend sein, d.h. die Beschäftigten müssen danach in der Lage sein, Gefährdungen zu erkennen, d.h. körperliche und psychische, um dann entsprechend zu handeln.“

Vor der Unterweisung kommt allerdings erst die Gefährdungsbeurteilung. Wenn es noch keine Gefährdungsbeurteilungen (auch mit Einbezug psychischer Belastungen) gibt, dann muss das eben das Fehlen einer ausreichend vollständigen Gefährdungsbeurteilung in einer ersten Gefährdungsbeurteilung (ggf. für einen bisher nicht beurteilten Gefährdungsbereich) beschrieben werden, denn ein mangelhafter Arbeitsschutz gefährdet die Mitarbeiter. Diese Gefährdungsbeurteilung liefert dann Grundlagen, auf denen ein Unterweisungswesen aufbauen und somit eine Verbesserung der Prozesse zur Gefährdungsbeurteilung fördern kann.
Siehe auch: http://blog.psybel.de/ohne-wissen-keine-verantwortung/

Countervailing Power

Management … has to have considerable power and authority – power and authority grounded in the needs of the enterprise and based on competence. And power, as the drafters of the American Constitution knew, needs to be limited by countervailing power. Modern society, a society of organizations each requiring strong management, needs an organ such as the labor union.

Peter Ferdinand Drucker: The Frontiers of Management (paragraph III.25), 1982

Bildschirmarbeitsverordnung

Eine Arbeitnehmervertretung fragte eine Arbeitgeberin,

wie bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen bei Bildschirmarbeitsplätzen die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen insbesondere hinsichtlich psychischer Belastungen ermittelt und beurteilt werden, sowie welche konkreten Prozesse und Beispiele es dazu im Betrieb gibt.

Es geht längst nicht mehr nur um technische Parameter wie Bildschirmaufösingen, Bildwiederholfrequenzen, Bildschirmdiagonalen usw., sondern generell um die von Benutzerschnittstellen ausgehend auf Menschen wirkende Risiken, physische und psychische Schäden zu erleiden:

§ 3 Beurteilung der Arbeitsbedingungen:
Bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes hat der Arbeitgeber bei Bildschirmarbeitsplätzen die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen insbesondere hinsichtlich einer möglichen Gefährdung des Sehvermögens sowie körperlicher Probleme und psychischer Belastungen zu ermitteln und zu beurteilen. 

Diese Bestimmung ermöglicht es, in Unternehmen mit Bildschirmarbeitsplätzen in einfacher Weise zu überprüfen, ob sie sich an die Regeln des Arbeitsschutzes halten. Anhand der Bildschirmarbeitsverordnung lässt sich konkret feststellen, welche Einstellung eine Arbeitgeberin zum Arbeitsschutz hat. Das betrifft nicht nur Bildschirmarbeitsplätze.
Gibt es keine Beurteilung psychischer Belastungen, begeht die Arbeitgeberin zunächst eine Ordnungswiedrigkeit. Wird in ihren Gefährdungsbeurteilungen sogar behauptet, dass die Bildschirmarbeitsverordnung eingehalten werde, obwohl es keine mitbestimmt geregelten Beurteilungen psychischer Belastungen gibt, könnte eine vorsätzliche Falschdarstellung in der Gefährdungsbeurteilung vorliegen.
Es ergäbe sich dann die Frage, wie sorgfältig die Gewerbeaufsicht Betriebe überprüft, in denen solche Falschdarstellungen in die Gefährdungsbeurteilung eingetragen werden können.
Natürlich ist es in einem solchen Fall auch möglich, dass Arbeitnehmervertretungen ihre in § 80 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes vorgegebene Pflicht missachtet haben, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften durchgeführt werden. Zudem könnte die Arbeitnehmervertretung § 89 des Betriebsverfassungsgesetzes missachtet haben.
Vor Allem hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften mitzubestimmen. Er darf es also nicht der Arbeitgeberin überlassen, sich schnell einmal einen Gefährdungsbeurteilungsprozess auszudenken, denn es gibt keine gesetzlichen Regelungen zur konkreten Gestaltung der Gefährdungsbeurteilung und zur Umsetzung der Bildschirmarbeitsverordnung im Betrieb.
Wie “nett” darf die Arbeitnehmervertretung sein? Weil es kein Mitbestimmungsrecht gibt, sondern eine Mitbestimmungspflicht, kann es sich die Arbeitnehmervertretung nicht entgegenkommenderweise aussuchen, ob sie fehlende oder sogar unrichtige Gefährdungsbeurteilung toleriert, sondern sie hat die Arbeitgeberin notfalls zur Pflichterfüllung zu zwingen, wenn sie im Arbeitsschutz Gefährdungen nicht oder dokumentiert oder falsche Angaben macht. Eine fehlende oder sogar nicht wahrheitsgemäße Beurteilung von Gefährdungen in der Dokumentation des Arbeitsschutzes (§ 6 des Arbeitsschutzgesetzes) erhöht selbst schon das Gefährdungsrisiko.
Also an die Arbeit, liebe Arbeitnehmervertreter!
Übrigens, nicht ernst genommen wird gerne auch der Anhang zur Bildschirmarbeitsverordnung. Auszug:

„Die Grundsätze der Ergonomie sind insbesondere auf die Verarbeitung von Informationen durch den Menschen anzuwenden.

  • Bei Entwicklung, Auswahl, Erwerb und Änderung von Software sowie bei der Gestaltung der Tätigkeit an Bildschirmgeräten hat der Arbeitgeber den folgenden Grundsätzen insbesondere im Hinblick auf die Benutzerfreundlichkeit Rechnung zu tragen:
    • Die Software muß an die auszuführende Aufgabe angepaßt sein.
    • Die Systeme müssen den Benutzern Angaben über die jeweiligen Dialogabläufe unmittelbar oder auf Verlangen machen.
    • Die Systeme müssen den Benutzern die Beeinflussung der jeweiligen Dialogabläufe ermöglichen sowie eventuelle Fehler bei der Handhabung beschreiben und deren Beseitigung mit begrenztem Arbeitsaufwand erlauben.
    • Die Software muß entsprechend den Kenntnissen und Erfahrungen der Benutzer im Hinblick auf die auszuführende Aufgabe angepaßt werden können.
  • Ohne Wissen der Benutzer darf keine Vorrichtung zur qualitativen oder quantitativen Kontrolle verwendet werden.“

Siehe auch: http://www.ergonomie-leitfaden.de/verordnung.htm
Die Wichtigkeit der Bildschirmarbeitsverordnung ist vielleicht einer der Gründe für den Versuch der “Stoiber-Kommission”, dieses wertvolle Instrument des Arbeitsschutzes auf europäischer Ebene zu schwächen.
Die Frage der Arbeitnehmervertretung an die Arbeitgeberin ganz am Anfang des Blog-Artikels ist noch offen. Was meinen Sie: Ist es möglich, dass die Arbeitgeberin keine Antwort gab, aber in der Gefährdungsbeurteilung für die Arbeitsplätze vieler Mitarbeiter behauptete, dass die Bildschirmarbeitsverordnung eingehalten werde? Lagen Belege vor, dass bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen bei Bildschirmarbeitsplätzen die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen insbesondere hinsichtlich psychischer Belastungen ermittelt und beurteilt werden, sowie konkreten Prozesse und Beispiele dazu im Betrieb dokumentiert sind? Glauben Sie, dass die Gewerbeaufsicht das geprüft hat?
 
Siehe auch: