Apple: Betriebsratsgründung wegen Belastung

Bekannt ist schon, dass Betriebsräte und Gewerkschaften die stärksten Treiber bei der vollständigen Umsetzung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes sind, denn für die meisten Arbeitgeber ist zuerst die “Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen” der Grund, psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen.
Jetzt waren der Arbeitsschutz der Treiber der Gründung des erstens Betriebsrates in der bisher betriebsratsfreien Apple-Familie. Die 250 Mitarbeiter des Apple Store München leisteten hier Pionierarbeit.
http://www.apfeltalk.de/forum/content/3185-erster-deutscher-apple.html

Erster deutscher Apple Store-Betriebsrat in München
von […]
Veröffentlicht: 16.02.2012 18:59

[…]
Ver.di beschwert sich über die schlechte Bezahlung, den enormen Kunden-Andrang und die daraus resultierende gesundheitsgefährdende Lärmbelastung. Die Chefetage dränge systematisch auf Überstunden und wäre weder bereit zuzuhören, noch zu verhandeln. Als Reaktion gründete man nun Apples ersten Betriebsrat der Apple Store-Verkäufer am Standort München. […]

Unwissenheit und Hilflosigkeit in der Chefetage? Christine Haderthauers “Burnout-Detektive” müssten eigentlich schon ausgerückt sein.
Siehe auch: http://www.google.de/search?q=apple-store+münchen+”ver.di”+betriebsrat
Siehe auch: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Erster-deutscher-Apple-Store-eroeffnet-in-Muenchner-Rosenstrasse-218477.html

1983: Arbeitsbelastung und ihre Thematisierung im Betrieb

Friedrich Hauß: Arbeitsbelastung und ihre Thematisierung im Betrieb, 1983/1997, ISBN 978-3-593-33161-4
 
S. 38 (Warum Gewerkschaften und Betriebsräte wichtig sind)

Die staatliche verhältnisorientierte Präventionsstrategie wird sich also weder in ihrer Formulierung und Normierung, noch in ihrer Implementation ausschließlich an gesundheitspolitisch relevanten Gesichtspunkten orientieren können. Zumindest auf betrieblicher Ebene bedarf sie der Durchsetzung und Erweiterung durch die Aktivitäten der Beschäftigten. …

 
S. 43

… Besonders der, bezogen auf auf das gesundheitspolitische Problem, wirksameren Verhältnisprävention mangelt es an Durchsetzungspotential. …

 
S. 65

… Einerseits besteht – vor allem im Bereich der klassischen Arbeitsmedizin – eine durch empirische Befunde nicht zu rechtfertigende Überbetonung der Arbeitsunfälle und der ergonomisch-physiologischen, allenfalls noch der chemischen Arbeitsbelastung. Psychisch-physiologische Arbeitsbelastungen werden dagegen von dieser Seite kaum zur Kenntnis genommen oder in Begriffen formuliert, die nicht das psychische Wohlempfinden, sondern lediglich die Leistungsbereitschaft oder Leistungsfähigkeit betreffen. …

 
So weit waren die Erkenntnisse also schon vor 28 Jahren. Also ist Arbeitsbelastung keineswegs ein erst kürzlich entdecktes Modethema. Manchmal ist das Neue eben nur das bisher nicht deutlich genug angesprochene Alte.

2010: Ganzheitlicher Arbeitsschutz nur bei 16% der Betriebe

Die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (aus einem Bericht von Ina Krietsch und Thomas Langhoff, Prospektiv GmbH, Dortmund für BAuA/GRAziL, 2007-09 – 2010-04) sehen immer noch so aus:

  1. Fehlende Handlungsbereitschaft: Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.
  2. Geringe Handlungskompetenz: Weder bei betrieblichen noch bei überbetrieblichen Arbeitsschutzakteuren ist in der Breite eine ausreichende Kompetenz zum Umgang mit dem Thema “Psychische Belastungen” vorhanden.
  3. Schwierige Kooperation: Von Betriebsrat, Arbeitgeber und betrieblichen Arbeitsschutzakteuren bei der GB zu psychischen Belastungen bzw. unzureichende Abstimmung der Akteure untereinander.

(Siehe dazu auch http://www.arbeitstattstress.de/2011/01/inwieweit-werden-psychische-gefaehrdungen-in-den-betrieben-beurteilt/.)
Die einzige Krankheitskategorie, in der von den Versicherungen eine Zunahme von Fehlzeiten am Arbeitsplatz beobachtet wird, ist die Kategorie der psychischen Erkrankungen. Aber ausgerechnet in diesem Bereich werden in Deutschland die Arbeitsschutzvorschriften nicht durchgesetzt:

Obwohl die Betriebe seit 1996 durch das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet sind, körperliche wie auch psychische Arbeitsbelastung am Arbeitsplatz im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln und sie so gering wie möglich zu halten, ist dies in vielen Betrieben immer noch nicht umgesetzt. Vor allem werden psychische Arbeitsbelastungen dabei nach wie vor kaum berücksichtigt.
(inqa.de, BAuA: Unterweisung, 2006, S. 8)

Aus der Betriebsrätebefragung 2008/06 des WSI (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung) ergibt sich:

Psychische Gefährdungen werden kaum berücksichtigt
Trotzdem steht es um die Gefährdungsbeurteilung und insbesondere um die Berücksichtigung der psychischen Belastungen in den Betrieben nicht gut, wie die WSI- Betriebsrätebefragung 2008/09 ebenfalls zeigt:

  • Gefährdungsbeurteilungen nach dem Arbeitsschutzgesetz werden nur von einer Minderheit der Betriebe (46%) durchgeführt.
  • Aus dieser Teilgruppe berücksichtigen nur 29% der Betriebe auch psychische Belastungen.
  • Also haben nur 16% aller befragten Betriebe in ihren Gefährdungsbeurteilungen auch psychische Arbeitsbelastungen berücksichtigt.

Die entsprechenden Vorschriften des Arbeitsschutzes gibt es seit 1996. Gestärkt wurden sie in den Entscheidungen AZ 1 ABR 4/03 (siehe insbes. Punkte 12 und 33) und AZ 1 ABR 13/03 des Bundesarbeitsgerichtes zur Mitbestimmung aus dem Jahr 2004.