Corporate Health Award 2015

Bei der Verleihung des Corporate Health Awards 2015 fehlte wieder unter den Vortragenden die Arbeitnehmerseite. Dafür gab es einen Vortrag, der die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung und der Verhältnisprävention herunterspielte.
Der Preis (und die Finalistensiegel) werden für gutes Gesundheitsmanagement vergeben. Einige auditierten Unternehmen erzählen in der internen und externen Kommunikation aber auch, dass die Beurteilung von Gefährdungen auditiert worden sei. Das ist dann schon ein Thma des gesetzlichen Arbeitsschutzes. Ich bin also gespannt, ob hier die Mitbestimmung der Betriebsräte beachtet wurde.
Dazu muss man wissen, dass Unternehmen gegenüber den Betriebsräten das Gesundheitsmanagement als “freiwillig” darstellen. Da ist die Mitbestimmung schwächer, als im Arbeitsschutz. Es könnte versucht werden, die Teilnahme von Betriebsräten an auch an den Audits zu verhindern, bei denen sie eigentlich ein Recht zur Teilnahme haben. Auch müssten die Betriebsräte die Auditberichte zumindestens in den Teilen lesen dürfen, die den Arbeitsschutz betreffen.
Die Beschreibung des Audits finden sie über diese Seite: http://www.corporate-health-award.de/award/ch-audit.html. Meiner Ansicht nach sind damit erworbene Zertifikate und Siegel wenig wert. Das Audit ist nämlich, um es höflich zu sagen, recht schlank. Auch die “Partizipation” (wohl der Arbeitnehmer) wird auditiert. Wie die Arbeitnehmer (bzw. deren Vertreter) an dem Audit selbst partizipieren, wird nicht verraten.
Beim Corporate Health Award und Corporate Health Audit kann ein Unternehmen gegen wichtige Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes verstoßen und trotzdem einen hohen “Erfüllungsgrad” im Gesundheitsmanagement bestätigt bekommen. So etwas ist für die Tonne.
Schirmherr des CHA ist das Bundesgesundheitsministerium. Anstelle jetzt Audits im Arbeitsschutzbereich zu privatisieren, sollten lieber die Gewerbeaufsichten in die Lage versetzt werden, endlich ordentlich zu prüfen!
Bei dem CHA spielen das Handelsblatt und die Wirtschaftswoche mit. Einer neutralen Berichterstattung zu Arbeitsschutzthemen ist das nicht zuträglich. Speziell von der Wirtschaftswoche habe ich ohnehin überwiegend schlecht recherchierte Beiträge zum Arbeits- und Gesundheitsschutz (wohl der für die Arbeitgeber schwierigste Teil des Gesundheitsmanagements) gelesen.

Corporate Health Award 2014am 20. November in Bonn

http://www.corporate-health-award.de/verleihung/cha-2014.html ist eine Ankündigung zur Verleihung des “Corporate Health Award 2014”. Von EuPD zitierte ich in diesem Blog interessante Hinweise, aber die Veranstaltung enthält mir zu viel Werbung für Entspannungssesselfirmen. Die Weightwatchers dürfen natürlich auch nicht fehlen. Ob die von EuPD angesprochenen Probleme auch bei der Veranstaltung im Nobelhotel Kameha Grand am 20. November in Bonn zur Sprache kommen, finden hoffentlich kritische Journalisten heraus, die daran teilnehmen (?). Ich kann’s mir nicht leisten. Die Workshops am Vormittag sind zwar kostenlos, aber die Diskussion am Nachmittag nicht. Da könnte ja sonst jeder kommen.
CHA_2014_Programm_Web.pdf:

Podiumsteilnehmer
» Dr. Nicole Knaack, Techniker Krankenkasse
» Patric Traut, IBM Deutschland
» Ursula Wilmers, Allianz Private Krankenversicherungs AG
» Thorsten Grießer, grisundoo
» Dr. Natalie Lotzmann, SAP AG
» Benjamin Klenke, EuPD RSM 

Kritiker fehlen da. Mitarbeiter von Unternehmen (z.B. SAP) und Gewerkschaften wären hier ja wohl auch eher störend. Und von IBM fehlt eine ehemalige Projektleiterin.
“Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement” wäre ein interessantes Diskussionsthema. Da hätte man z.B. die Arbeitsschützer von BIT in Bochum einladen können und die Organisationspsychologen von GAWO. Zum BEM (Betriebliches Gesundheitsmanagement) vermisse ich Teilnehmer aus dem Projekt “Neue Wege im BEM”. Und auch bei der Gewerbeaufsicht gibt es kompetente Menschen, die kompetent mitdiskutieren können. In NRW und in Hamburg wäre ihnen sogar erlaubt, sich kritisch zu äußern. Solche Leute fehlen.
Aber von Sigmar Gabriel gibt es ein Grußwort:

Grußwort des Bundesministers für Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel 
Gute Arbeit ist nicht nur eine Frage von anständiger Entlohnung, Chancen und Mitbestimmung, sondern auch von Gesundheitsförderung. Der Corporate Health Award zeichnet Organisationen aus, die sich mit vielfältigen und beeindruckenden Ideen und Konzepten genau diesem Thema widmen. Ich wünsche mir, dass sich andere Arbeitgeber ein Beispiel daran nehmen und ebenfalls in die Gesundheit ihrer Beschäftigten investieren.

Gabriel macht auch beim Ausweichen der Unternehmen auf die “Gesundheitsförderung” mit. Dann gibt es da ja auch das schon erwähnte und oft überwiegend verhaltenspräventiv orientierte BEM. In beiden Bereichen werden die Mitarbeiter kräftig in die individuelle Verantwortung genommen – in Deutschland von Unternehmen, von denen ein Großteil jahrelang gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen hatte. Die Firmen sollten erst einmal ihrer eigenen Verantwortung gerecht werden und ihre Hausaufgaben im Arbeitsschutz machen. Für den ist Andrea Nahles zuständig. Zu einem Grußwort von Andrea Nahles reicht’s aber wohl nicht.
http://www.corporate-health-award.de/infocenter/akt-single/article/corporate-health-award-2014-voller-erfolg-preisverleihung-am-20-november.html

[…] Konferenz und Preisverleihung zum Corporate Health Award 2014
Den Abschluss des Corporate Health Award 2014 bildet die Konferenz und Preisverleihung am 20. November im Kameha Grand Hotel in Bonn. Seien Sie dabei, frischen Sie Ihr Wissen auf und tauschen sich intensiv mit Gesundheitsverantwortlichen anderer Unternehmen aus!
Der 20. November bietet den Teilnehmern aktuelles Wissen aus dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement sowie neueste Erfahrungen aus der Unternehmenspraxis. Die Ehrung der Sieger in zehn Branchenkategorien und einer Sonderkategorie bildet dabei den Höhepunkt eines Tages, der ganz im Zeichen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements steht. Bereits ab 9 Uhr erwarten die Gäste die ersten Workshops zu Themen, die Gesundheitsmanager vieler Unternehmen derzeit beschäftigen. Insgesamt acht Workshops finden zwischen 9 und 12.30 Uhr statt. Dabei steht Folgendes im Fokus:
» „Bleib gesund in MUC“ – Einblicke in das gemeinsame Projekt der TK und dem Münchner Flughafen
Techniker Krankenkasse, Deutsche Lufthansa AG
» Innovative Maßnahmen zur Stressprävention in der Praxis – Evaluierte Best-Practice Beispiele
brainLight
» Warum digitales BGM messbare Erfolge nicht nur in Zahlen ausdrückt und wie es ganz nebenbei Menschen und Unternehmen glücklich macht
vitaliberty
» Die w(r)ichtige Bewegung für den Menschen direkt an den Arbeitsplatz bringen – Vorteile durch ergonomisch bewegte Arbeitsumgebungen
kyBoot Shop Zwickau
» BGM 2020 – Bedarfe, Trends und Lösungsansätze
Allianz Private Krankenversicherungs-AG
» Struktur schafft Synergien für betriebliche Gesundheit
TÜV SÜD Akademie, TÜV SÜD Management Service
» Ein Gehirn (fr)isst sich durch den Tag – Warum ein Obstkorb noch keinen vitalen Mitarbeiter macht
WeightWatchers
» Psychische Gesundheit im Unternehmen: Bedeutung, Maßnahmen, Effekte – Von der Gefährdungsanalyse bis zum Employee Assistance Program
INSITE Interventions
BGM 2.0, Ergonomie und BGM im digitalen Zeitalter: die Themen während der Konferenz
Um 13 Uhr startet dann die Konferenz zum Corporate Health Award 2014. Wie auch in den Vorjahren führt Frau Dr. Susanne Holst durch das Programm. In verschiedenen Vorträgen geht es um Themen wie die psychische Gefährdungsbeurteilung, warum ein Mitarbeiter nie zufrieden sein kann (mit Dipl. Psychologe Michael Thiel), Ergonomie, gesunde Hochschulen, BGM 2.0 und BGM im digitalen Zeitalter.
Ab 17.15 Uhr gehört die Bühne den Gewinnern des Corporate Health Award 2014. In zehn Branchenkategorien sowie dem Sonderpreis Mittelstand haben sich Unternehmen beworben. Ein Gala-Dinner rundet den Gesundheitstag ab und lädt zum intensiven Austausch der Gäste ein. […]

Übrigens: In die Bewertungen zum Corporate Health Award geht viel an Selbstdarstellung der Unternehmen mit ein. Beim Einbezug der Betriebsräte gibt es da noch Verbesserungspotential.
In CHA_2014_Programm_Web.pdf kommt das Wort “Arbeitsschutz” kein einziges Mal vor. Auch die Betriebsräte spielen keine Rolle, obwohl sie zu den stärksten Treibern beim Einbezug psychischer Belastungen in den verhältnispräventiven Arbeitsschutz gehören.

Das Programm ist zugeschnitten auf Führungskräfte in den Bereichen Personal und Gesundheit, Bereichsleiter des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, Betriebsärzte sowie Arbeitsmediziner und die Geschäftsführungsebene aus Unternehmen aller Branchen und Größen. 

Höchstens 43% der Betriebe beziehen psychische Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung mit ein

In einer Präsentation von EUpD Research finden sich sehr interessante und aktuelle Daten, die zeigen, dass nur 43% der befragten Unternehmen psychische Belastungen nach eigenen Angaben in die Gefährdungsbeurteilung mit einbeziehen. Das heißt: 57% der befragten Unternehmen erfüllen die seit 1996 geltenden Anforderungen der ganzheitlichen Arbeitsschutzes nicht.
Basis: 166 Unternehmen

http://www.arbeitsschutz-aktuell.de/downloads/referenten/20_6/Henssler.pdf [nicht mehr aufrufbar]
Psychische Belastungen erkennen und Vermeiden – Corporate Health Award, Oliver-Timo Henssler, EUpD Research (2010-10-20)
Quellen psychischer Belastung (INQA):

  • Arbeit: 39%
  • gesellschaftliche Entwicklung: 26%
  • Familie: 24%
  • Freizeit: 11%

Psychische oder soziale Belastungen der Arbeitnehmer in Deutschland (Forsa, im Auftrag des Fürstenberg Instituts, 1001 Berufstätige):

  • Stress:39%
  • Erschöpfung: 26%
  • depressive Stimmung: 14%
  • Überforderung: 10%
  • Alkohol, Nikotin, Medikamente: 6%

Anteil der Unternehmen, in denen Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt werden (EuPD Research 2010):

  • für alle Arbeitsplätze: 68,7%
  • für Teil der Arbeitsplätze: 21,7%
  • nein: 7,8%
  • keine Angaben: 1,8%

Einbezug psychischer Gefährdungen in die Gefährdungsbeurteilung (EuPD Research 2010):

  • ja: 48,0%
  • nein: 45,3%
  • keine Angaben: 6,7%

(Inhaltliche Wiedergabe eines kleinen Teils der Präsentation)
Mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung: EuPD Research gibt auch an, dass 86,7% der Unternehmen, die Gefährdungsbeurteilungen (GBs) durchführen, ein schriftliches Konzept zur Durchführung haben. Mit 90,4% Betrieben, in denen eine GB durchgeführt wird, kann man daher mit einem optimistischen Ansatz vermuten, dass maximal etwa 80% der Betriebe die GB ordentlich mitbestimmt in einer Betriebsvereinbarung geregelt haben können. Aber nur in in 48% der Gefährdungsbeurteilungen wurden psychisch wirksame Belastungen mit einbezogen, d.h. nur 48%×90,4%=43,4% der befragten Unternehmen respektieren nach eigenen Angaben die Anforderungen des ganzheitlichen Arbeitsschutzes.
Die Erhebung von EuPD Research liefert mit 43% eine etwas bessere Befolgung der Vorschriften, als die von der BAuA angegebenen 33% (siehe Deutscher Bundestag, 2010-02-25).