Geltendes Recht klargestellt

Es gibt Unternehmen, die in Mitteilungen an ihre Mitarbeiter den Eindruck erwecken, dass der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz im Arbeitsschutzgesetz erst seit kurzem vorgeschrieben sei. Das ist Desinformation.
Kern der Gesetzesänderung war nur eine Klarstellung bereits geltenden Rechts: Arbeitgeber haben psychische Belastungen bereits seit dem Jahr 1996 in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Die Analyse der psychischen Belastungen hatte schon immer ein Bestandteil einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung zu sein, wie z. B. ein Blick in die BGI/GUV-I 8700 aus dem Jahr 2009 zeigt (Kap. 3.10).
Auch die behördliche Aufsicht hat zumindest gewusst (wenn auch kaum umgesetzt), was von ihr erwartet wird: Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (LASI) erstellte zur Nutzung durch die behördliche Aufsicht die folgenden Veröffentlichungen:

  • LV 28 (2002) Konzept zur Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz und zu Möglichkeiten der Prävention
  • LV 31 (2003) Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz und Möglichkeiten der Prävention – Handlungsanleitung für die Arbeitsschutzverwaltungen der Länder
  • LV 52 (2009) Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder

Man sieht: Der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz hätte schon seit vielen Jahren von der behördlichen Aufsicht überprüft werden müssen.
Die Aufsicht ist aber noch heute so geschwächt, dass sie nicht glaubwürdig überprüfen kann, ob in den Betrieben psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einbezogen werden. Als Referenz für Compliance ist sie damit eigentlich irrelevant. Das Aufsichtssystem hat hier schlicht versagt. Im Jahr 2012 konnte das nun nicht mehr ignoriert werden: Das Thema kam in den Bundestag (Bundestagsdrucksache 17-10229). Es wurde damals festgestellt, dass in etwa 80% der Betriebe in Deutschland psychische Belastungen nicht in der vorgeschriebenen Weise beurteilt wurden.
Das hier gegen bereits vor der Gesetzesänderung geltendes Recht verstoßen wurde, wird sogar von den Arbeitgebern bestätigt. Die Arbeitgebervereinigung BDA schrieb am 30.8.2013: „Gesundheit ist nicht teilbar, körperliche und seelische Gesundheit hängen zusammen und bedingen einander. … Zur Klarstellung dieses bereits heute geltenden Grundsatzes soll das ArbSchG in § 5 Abs. 3 Nr. 6 künftig ausdrücklich um den Gefährdungsfaktor ‘psychische Belastungen bei der Arbeit’ ergänzt werden“
Aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, Absatz „Ganzheitlicher Arbeitsschutz“: „in bestehenden Arbeitsschutzverordnungen, die noch keine Klarstellung zum Schutz der psychischen Gesundheit enthalten, dieses Ziel aufnehmen“
Im Januar 2013 stellte der Bundesrat klar: „Durch zwei Änderungen im Arbeitsschutzgesetz soll klargestellt werden, dass sich die Gefährdungsbeurteilung auch auf psychische Belastungen bei der Arbeit bezieht und der Gesundheitsbegriff neben der physischen auch die psychische Gesundheit der Beschäftigten umfasst.“
Auf meine Petition 1902 (18.1.2009) „Betrieblicher Arbeitsschutz – Psychische Belastungen“ antwortete mir der Petitionsausschuss: „Der Petitionsausschuss hat zu der Eingabe eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) eingeholt. Darin führt das BMAS im Wesentlichen aus, dass es die Auffassung des Petenten teile, dass das Thema Psychischen Belastungen unabdingbarer Bestandteil des Arbeitsschutzes sei.“
Österreich änderte sein Arbeitnehmerschutzgesetz übrigens etwas früher als Deutschland. Auch dort wurde nur bereits geltendes Recht klargestellt:
Der Standard schrieb am 20. September 2013: „Unternehmen müssen das [Evaluation psychischer Belastungen im Job] eigentlich schon seit dem Jahr 1995 machen, das ist EU-Recht, allerdings geschah das in der Praxis zu selten. Das Gesetz ist davon ausgegangen, dass die gesamte Arbeitssituation zu evaluieren ist. Nachdem das allerdings im Bereich der psychischen Belastungen kaum passiert ist, bietet es eigentlich nur eine Verdeutlichung, dass die Begriffe physische und psychische Belastungen jetzt vorkommen.“
Und in der Regierungsvorlage zur Änderung des österreichischen Arbeitnehmerschutzgesetzes steht : „Bei den Änderungen in § 2 Abs. 7 und 7a handelt es sich um bloße Klarstellungen, bereits nach geltender Rechtslage sind die dort angeführten Begrifflichkeiten so zu verstehen.“