Fürsorge mit Geschmäckle

http://static.dgfp.de/assets/publikationen/2011/Umgang-mit-psychischer-Beanspruchung-Leitfaden.pdf

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen –
ein Leitfaden für Führungskräfte und Personalmanager
PraxisPapier 6 / 2011
DGFP e.V. (Hg.)
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. • Düsseldorf • ISSN 1613-2785

Siehe auch: http://blog.psybel.de/leitfaden-zum-umgang-mit-psychisch-beanspruchten-mitarbeitern/
Das ist ein hilfreiches Papier der DGFP zur Verhaltensprävention (oder für den Fall, das es für Prävention schon zu spät ist).
Genau genommen geht es dabei um alle Mitarbeiter, weil psychische Beanspruchung ein Kennzeichen fast jeder Arbeit ist, genauso wie psychische Belastung. Was wir nicht wollen, ist pychische Fehlbeanspruchung und psychische Fehlbelastung.
Mut ihrem Leitfaden erweckt die DGFP den Eindruck, sie wolle sich fürsorglich und verantwortungsvoll um Arbeitnbehmer kümmern.
Die von der DGFP empfohlene Fürsorge hat ein Geschmäckle: Die Zuwendung zum einzelnen beanspruchten Mitarbeiter verdeckt, dass die meisten Arbeitgeber parallel zur oft überwiegend verhaltenspräventionsorientierten Betrieblichen Gesundheitsförderung ihre im Arbeitsschutz gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten bei der Verhältnisprävention vernachlässigen. Der Focus ist nicht auv auffälligen Arbeitsplätzen, sondern auf auffälligen Mitarbeitern. Das erinnert mich dann doch schon an chinesische Verhältnisse: “Auffällige” Menschen landen da ein bisschen zu schnell in der Psychiatrie. Die Partei darf nicht in Frage gestellt werden. In China würde man das vielleicht “Fürsorge – in chinesischer Färbung” nennen.
Das ist keine Polemik: Es ist auch in Deutschland möglich, dass Unternehmen wider besseren Wissens in ihren Gefährdungsbeurteilungen den Eindruck erwecken, dass sie psychische Belastungen beurteilen, obwohl ihnen klar ist, dass sie psychische Belastungen noch nicht in den Arbeitsschutz einbezogen haben. Anstelle von Minderleistungen im Arbeitsschutz identifizieren sie dagegen gerne (ohne eine mitbestimmte Beurteilung der Arbeitsbedingungen) unter ihren Mitarbeitern “Minderleister”. Wenn diese Mitarbeiter nicht “belastbar” sind, trennen sie sich eher von diesen Arbeitnehmern anstatt ihre Pflichten im Arbeitsschutz zu erfüllen.
Das ist möglich, weil die Gewerbeaufsicht zu schwach ist. Mit einer funktionierenden Gewerbeaufsicht, die sich nicht mit auf Vorzeigbarkeit hin optimierten Maßnahmen des Gesundheitsmanagements abspeisen lässt, könnte das heute nicht mehr passieren. Aber die Aufsicht wird (oder wurde bisher) ausgebremst. Schutzgesetze zu schreiben, aber ihre Ausführung auszubremsen, auch das ist eine Methode der kosmetischen 中国特色的Gesetzgebung. (“Auffällig” ist dann der, der Schutzvorschriften ernst nimmt. Diese Einstellung gibt es allerdings auch wieder in Deutschland.)
Braucht die Gewerbeaufsicht erst Beweise, um nach Beweisen zu sehen? Auditoren und Aufsichtspersonen machen ja nicht einmal von der einfachen Möglichkeit Gebrauch, prinzipiell in Unternehmen mit Bildschirmarbeit die Einhaltung der Bildschirmarbeitsverordnung zu überprüfen und die (manchmal nicht mehr versehentliche) Vorlage unrichtiger Arbeitsschutzdokumente zu ahnden.
Wenn sich ein korrumpierter Arbeitsschutz mit einer auf Vorzeigbarkeit getrimmten Betrieblichen Gesundheitsförderung trifft, dann kann sich Fürsorge schnell in Mobbing verwandeln.

Schreibe einen Kommentar