Eine ungerechtfertigte Abmahnung ist eine psychische Fehlbelastung

Ein Mitarbeiter im Betrieb yyyyy des im deutschsprachigen Raum angesiedelten Unternehmens xxxxx reichte beim Betriebsrat seines Betriebes den folgenden Antrag zur Abstimmung durch das Gremium dieses Betriebsrates ein:

Antrag eines Mitarbeiters des xxxxx-Betriebes yyyyy an den Betriebsrats dieses Betriebes:
Erfassung und Dokumentation einer ungerechtfertigten Abmahnung als Fehlbelastung.
Fallbeschreibung:
Ein Mitarbeiter wurde im Betrieb yyyyy vom Leiter der Personalabteilung abgemahnt. Nachdem der Mitarbeiter eine Klage androhte, zog der Arbeitgeber die Abmahnung zurück, da sie sich als gegenstandlos erwies. Der Fall wurde damit zwar arbeitsvertragsrechtlich abgeschlossen, nicht jedoch arbeitsschutzrechtlich.
Die Abmahnung enthielt die folgende Kündigungsdrohung:

„Zu unserem Bedauern mussten wir feststellen, dass Sie Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in schwerwiegender Weise verletzt haben. […] Wir fordern Sie hiermit ausdrücklich auf, das oben geschilderte Verhalten zukünftig zu unterlassen und Ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß zu erfüllen. Im Fall einer Wiederholung des in dieser Abmahnung gerügten Verhaltens behalten wir uns vor, Ihr Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß, gegebenenfalls sogar außerordentlich fristlos, zu kündigen. […]“

Diese Drohung wirkte auf den Mitarbeiter über einen Zeitraum von drei Monaten.
Hiermit beantrage ich, dass das Gremium des Betriebsrats des xxxxx-Betriebes yyyyy den folgenden Beschluss fassen möge:

Der Betriebsrat setzt sich dafür ein, dass die Leitung des Betriebes yyyyy Vorfälle, die dem oben beschriebenen Vorfall gleichen, wie folgt kategorisiert, dokumentiert und in der Arbeitsschutz-Statistik erfasst.

  1. Gemäß Arbeitsschutzvorschriften: „Arbeitsbedingte psychische Fehlbelastung“
  2. Gemäß Selbstverpflichtung der Betriebsleitung nach OHSAS 18001:2007: „Arbeitsbezogenes Ereignis, das eine Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) zur Folge hätte haben können. (Erkrankung: Erkennbarer, nachteiliger physischer oder mentaler Zustand, der durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation hervorgerufen und/oder verschlechtert wurde.)“

Das Gremium des Betriebsrates stimmte dem Antrag zu und hat damit einen Fall arbeitsbedingter Fehlbelastungen konkretisiert. Der Fall ist ein generisches Beispiel für eine auschließlich im Verantwortungs- und Handlungssbereich des Arbeitgebers aufgetretene psychische Fehlbelastung.
Anmerkungen:

  • Sind ungerechtfertigte Abmahnungen immer eine psychische Fehlbelastung?
    Abmahnungen sind die stärkste Drohung, die ein Arbeitgeber legitim gegen einen Arbeitnehmer richten kann. Sie setzen den Arbeitnehmer im Bereich seiner beruflichen Existenz massiv unter Druck. Die ungerechtfertigte Abmahnung ist ein gutes Beispiel für eine generische psychische Fehlbelastung im Sinn des Arbeitsschutzgesetzes. Außerdem kann hier ein Einfluss betriebsfremder Belastungsfaktoren weitgehend ausgeschlossen werden: Die Verantwortung für eine ungerechtigte Abmahnung liegt eindeutig beim Arbeitgeber.
  • Beendet die Rücknahme einer ungerechtfertigten Abmahnung den Abmahnungsfall?
    Der arbeitsvertragsrechtliche Abschluss eines Abmahnungsfalls und der arbeitsschutzrechtliche Abschluss dieses Falls zwei unterschiedliche Dinge. Die Rücknahme einer Abmahnung macht die zuvor auf den Mitarbeiter wirkende Fehlbelastung nicht ungeschehen. Die Wirkungen psychischer Fehlbelastungen können sehr langfristig sein. Folglich endet die Verantwortung des Arbeitgebers für die Fehlbelastung noch lange nicht mit der Rücknahme der Abmahnung. Es wäre im Gegenteil ein klares Zeichen von Verantwortungslosigkeit und eine Missachtung der Erfordernisse des heutigen Arbeitsschutzes, wenn ein Arbeitgeber einen Abmahnungsvorgang alleine schon mit der Rücknahme der Abmahnung als abgeschlossen betrachten würde.
  • Sind Abmahnungen nun wegen des Arbeitsschutzes “verboten”?
    Keine Sorge: Nur ungerechtfertigte Abmahnungen (die deswegen z.B. als “gegenstandlos” zurückgenommen werden mussten) sind eine psychische Fehlbelastung. Gerechtfertigte Abmahnungen sind also immer noch möglich – und gegebenenfalls auch ein zur Sicherstellung des Arbeitsschutzes erforderliches Instrument. Gerechtfertigte Abmahnungen sind ein Beispiel für eine erhebliche, aber legitim auf Mitarbeiter wirkende psychische Belastung.