Denkt Dr. Pawelzik chinesisch?

Markus R. Pawelzik ist Autor von Papieren wie Positive Psychologie, Glück ist machbar!, Mentalisierungsbasierte Psychotherapie, Einführung in die mentalisierungsbasierte Psychotherapie usw. Auch ist der Arzt Leiter der EOS-Klinik für Psychotherapie in Münster, deren Träger die konfessionelle geprägte Alexianer-GmbH ist.
Im MERKUR vom 2. Februar schrieb er von Seite 123 bis 134 in Zur aktuellen Burnout-Epidemie auch Sätze wie diesen:

… Blicken wir nach China, so ist festzustellen, dass es dort unsere Volkskrankheit Depression kaum zu geben scheint. Depressiv zu sein gilt in China als unanständig. Psychosozial belastete Chinesen leiden stattdessen an einer Art Neurasthenie, bei der körperliche Erschöpfungssyndrome im Vordergrund stehen. … 

Es ist festzustellen, dass dort, wo Chinesen freier sprechen dürfen und nicht als Abweichler in die Anstalten linientreuer Psychiater gesteckt werden, zu den körperlichen Erschöpfungssyndromen dann doch noch Äußerungen zum seelischen Befinden dazu kommen. Depressive in Taiwan unterscheiden sich nicht grundsätzlich von Depressiven, sagen wir mal, in Deutschland. Ich glaube, dass man dazu selbst mit Google mehr lernen kann, als mit Chinesenklischees.
Der Beobachtungsansatz in der Volksrepublik ist ähnlich dem Ansatz deutscher Unternehmen: Vermeide zu beobachten, was du nicht sehen willst. In Deutschland ist die Beobachtung von psychischen Belastungen aber vorgeschrieben. Wer sich’s leisten kann, ignoriert die Vorschrift einfach. Sie sind Vorzeigevorschriften, an die sich keiner hält, auch das ist “chinesisch”. Nach Leben mit Chinesen in China und Taiwan, dank guter Freundschaften mit Chinesen in Hongkong, den USA und Deutschland sowie nicht zuletzt dank halbchinesischer Familie ist mir klar, wie unterschiedlich Verhalten von Menschen in unterschiedlichen Umgebungen sein kann und wie schnell Menschen auf einen Wechsel der Umgebung reagieren können. Das gilt auch für Arbeitsumgebungen.
Wie “chinesisch” ist Markus R. Pawelzik bei der Auswahl der Argumente für seine in Münster gepflegte Sichtweise? Warum geht er nicht auf darauf ein, wie Unternehmen die Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz ganz einfach ignorieren? Ist das Burnout vieler Arbeitnehmer nicht schon deswegen wahrscheinlich, weil sich viele Arbeitgeber angestrengt bemühen, mögliche Fehlbelastungen nicht deutlich werden zu lassen?
Da gibt es ein Gegenmittel: Ebenfalls in Münster promovierte ja Niklas Luhmann, von dem man den Trick lernen kann, schwer Beobachtbares durch die Beobachtung der Beobachter herauszufinden. Genau so gut geht das, wenn man beobachtet, wie Leute darauf achten, etwas nicht zu beobachten, zum Beispiel Leichen im Keller. Wer den Burnout-Begriff lächerlich macht und ausgebrannte Patienten “Schicksalsuntauglichkeit” so andichtet, wie der Arzt Markus Pawelzek, der will sich vermutlich gar nicht richtig für die Belastungen interessieren, denen seine Patienten heute ausgesetzt sind.
Wie beobachtet der Arzt die Belastungsquellen in der von ihm geführten Klinik? Das Hauptgegenmittel gegen Beobachtungsvermeinder ist natürlich die solide Arbeit der Arbeitsschützer und der Arbeitnehmervertreter – allerding nur dort, wo es sie gibt. Die Beobachtungsinstrumente gibt es schon lange genug.
Markus Pawelzik unterstellt Burnout-Bekämpfern Dinge, die sie gar nicht behaupten, um sie dann zu kritisieren:

… Gleichwohl ist die Unterstellung, Stressoren und Stressreaktionen stünden in einem linearen Zusammenhang, unzutreffend. …

Der Arzt hat wenig Ahnung, wie im modernen ganzheitlichen Arbeitsschutz gedacht und gehandelt wird. Da ist längst klar, das auch Unterforderung ein Stressor sein kann. Wie ein Laie macht es sich der Arzt einfach, auf das “illnes behaviour” zu verweisen, und entdeckt eine zunehmende “Schicksalsuntauglichkeit”. Das ist fast schon eine Frechheit, denn viele Fehlbelastungen im betrieblichen Alltag sind kein Schicksal, sondern Folge von Schlamperei und Unehrlichkeit bei der Planung und der Führung von Prozessen und Projekten. Das schadet nicht nur den Mitarbeitern, sondern dem Geschäft des Unternehmens.
Gut wäre der Artikel, wenn er erläutern würde, dass “Burnout” der falsche Begriff für die richtige Epidemie ist, die aber (erst 15 Jahre nachdem das heutige Arbeitsschutzgesetz erlassen wurde) durch den Burnout-Begriff Aufmerksamkeit erhielt. Das ist einerseits zwar nicht ungefährlich für das Verständnis von Erschöpfungsdepressionen, aber andererseits leider wohl doch notwendig gewesen. Immerhin haben jetzt zwei führende Politikerinnen den gewohnheitsmäßigen Rechtsbruch der Mehrheit der Unternehmen angesprochen. Eine von ihnen rief sogar nach “Burnout-Detektiven“. Wenn wenigstens die Leute von der Gewerbeaufsicht oder der Berufsgenossenschaft kämen und dort genauer hinsähen, dann wäre das auch schon ganz in Ordnung.
Nun kommt der Höhepunkt:

… Ärzte und Lobbyisten sind steht bemüht,
im “Dienste des Volks” neue Geschäftsfelder aufzutun. …

Markus R. Pawelzik ist auch Arzt. Er deutet an, dass hinter der Burnout-Epidemie Geldmacherei stecke. Wie jemand mit dem Burnout-Begriff (in durchaus anständiger Weise) Geschäfte macht, kann Markus R. Pawelzik in der Burnout-Broschüre einer Klinik nachlesen, die von einem Markus R. Pawelzik geleitet wird: http://www.eos-klinik.de/fileadmin/user_upload/burnout_broschuere.pdf
Übrigens: Ein Leiter eines Krankenhauses ist verantwortlich für die vorschriftsmäßige Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes in seiner Klinik. Und im Arbeitsschutz wird nicht nach “auffälligen” Mitarbeitern gefragt, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen. Wie sehr mögen Chefs diese These? Führungskräfte ahnen/wissen, dass es bei ggf. erforderlichen Veränderungen häufig ans Eingemachte geht – Organisation, Personaleinsatz/ -entwicklung, Führung/ Kommunikation – und man dieses (Diskussions-)Risiko scheut. Ich bin neugierig, wie es in der Klinik zugeht, die Markus Pawelzik leitet. Gingen dort mitbestimmte Gefährdungsbeurteilungen ans Eingemachte?

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