Dauerstress: Wenden Sie sich zuerst an den Betriebsrat

http://www.mittelstanddirekt.de/content/f0906-0/internet/website/home/versichern_und_vorsorgen/nachrichten/psychische-belastungen-arbeitsplatz.html

[…] TÜV-Empfehlung: Beratung durch den Betriebsarzt
Die TÜV-Arbeitsmediziner raten Arbeitnehmer andauernden psychischen Stress am Arbeitsplatz sowie Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch ernst zu nehmen und sich an ihren Arbeitgeber zu wenden. Dieser muss im Zuge seiner gesetzlichen Fürsorgepflicht für die Sicherheit und Gesundheit seiner Mitarbeiter sorgen und den Betriebsarzt verständigen. Den medizinischen Grund der Anfrage muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht offen legen. Der Betriebsarzt stellt im Rahmen einer Arbeitsplatz- und Gefährdungsbeurteilung sowie individuellen Untersuchung des Beschäftigten die Ursachen für eine psychische Belastung fest. Ziele der Beratung sind gezielte individuelle Lösungen zur Suchtprävention und Stressabbau. […]

Es gibt genug Fälle, in denen sich Mitarbeiter an den Arbeitgeber wenden und dann ein niedrigeres Einkommen “angeboten” bekommen. Ich rate fehlbelasteten Arbeitnehmern dringend, sich zuerst an den Betriebsrat zu wenden und zu besprechen, welche Prozesse zur Bearbeitung von Meldungen über fehlbelastenden Dauerstress zwischen dem Betriebsrat und der Betriebsleitung vereinbart worden sind.
Betriebsärzte können durchaus die richtige Adresse für solche Fehlbelastungsmeldungen sein, aber wenn es aus Sicht des Betriebsrates neben der individuellen Beratung durch den Betriebsarzt keinen ordentlichen und vorrangig verhältnispräventiven Arbeitsschutz mit einem mitbestimmten und auditierbaren Prozess für Gefährdungsbeurteilungen gibt, dann könnte das ein Zeichen sein, dass das Unternehmen Fehlbelastungen gleich von Anfang an den Mitarbeitern zuschreiben möchte.
Problematisch wird es natürlich, wenn auch der Betriebsrat keine Ahnung hat und keine ordentlichen Prozesse zur Bearbeitung von Fehlbelastungsmeldungen vereinbart wurden, denn wer bei Fehlbelastungen zu verständigen ist und wie solche Fälle bearbeitet werden, hat im Rahmen der Arbeitsschutzregeln in Betrieben mit Arbeitnehmervertretungen mitbestimmt entschieden zu werden. Zunächst geht es nicht um die fürsorgliche Belagerung von Arbeitnehmern, sondern um den Arbeitsschutz und um die Beurteilung der Arbeitsplätze möglicherweise fehlbelasteter Mitarbeiter.
Hinsichtlich der “individuellen Untersuchung des Beschäftigten” stellen der TÜV bzw. mittelstdanddirekt.de die Prioritäten des Arbeitsschutzes falsch dar. Im Arbeitsschutz ist ganz klar vorgeschrieben, dass individuelle Maßnahmen nachrangig zu allen anderen Schutzmaßnahmen sind. Warum verkehren der TÜV und mittelstanddirekt.de die Prioritäten? Inzwischen sollten sie es wirklich besser wissen: Zunächst sitzten bei der Beurteilung der Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen auf der Couch und nicht die Arbeitnehmer.
Meine Empfehlung für einen ersten Besuch beim Betriebsarzt: Nehmen Sie ein Mitglied des Betriebsrats zu dem Gespräch mit. Wenn Betriebsärzte das mit Hinweis auf die Vertraulichkeit zwischen Arzt und Patient ablehnen wollen, dann weisen Sie darauf hin, dass Sie kein Patient sind. Da bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen persönliche Daten kein Thema sind, gibt es auch keine Vertraulichkeitsprobleme. Die Beurteilung von Arbeitsbedingungen ist kein Geheimnis.
Testen Sie, wie Betriebsärzte sich gegenüber dem Arbeitgeber verhalten: Vertrauen Sie keinen Betriebsärzten, die sich bei Mängeln in der Gefährdungsbeurteilung beim Arbeitgeber nicht für eine wahrheitsgemäße Gefährdungsbeurteilung einsetzen.