Bereitschaft und die Eigeninitiative der Betroffenen

Noch ein Blog-Beitrag zur Erklärung von der BDA und des VDBW zur Bedeutung der psychischen Gesundheit im Betrieb. (Interessant ist der Vergleich mit dem gemeinsamen Positionspapier von IG Metall und VDBW vom Mai 2009.)
Hier ist die gesamte Pressemappe der BDA: http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/res/Pressemappe_Psychische_Gesundheit_im_Betrieb_090212.pdf/$file/Pressemappe_Psychische_Gesundheit_im_Betrieb_090212.pdf

  • Programm [S. 2]
  • Pressemitteilung [S. 4]
  • Gemeinsame Erklärung [Bedeutung der psychischen Gesundheit im Betrieb, S. 7]
  • BDA kompakt: Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit [Mai 2009, S. 10]
  • VDBW-Leitfaden: Psychische Gesundheit im Betrieb [S. 12]
  • Interview mit Professor Frank Jacobi (TU Dresden) [S. 24]
  • Die BKK (01/2011): Das betriebliche Rehabilitationskonzept der Salzgitter AG [Netzwerkarbeit, die wirkt, S. 29; siehe auch den Blogartikel dazu]
  • Salzgitter AG: Zukunft gestalten – 5 Jahre Generationen-Offensive 2025 [S. 37]
  • Deutsche Rentenversicherung: Medizinische Rehabilitationsleistungen im Zeitverlauf (Infografik) [S. 71]
  • DRV Braunschweig-Hannover: Konzeptpapier zum beruflichen Rehabilitationsmanagement [S. 72]
  • Arbeitgeberservice-Infoflyer DRV Bund [S. 99]

(Der Link und die Anmerkungen in eckigen Klammern wurden nachträglich eingefügt.)
Auszug (S. 5/100):

… Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der BDA, unterstrich den exemplarischen Charakter des „Salzgitter-Modells“: „Für uns Arbeitgeber ist vor allem wichtig: Die Probleme mit den wachsenden Fehlzeiten und Frühverrentungen auf Grund psychischer Störungen lassen sich nur im gemeinsamen Zusammenwirken aller Beteiligten lösen. Die Arbeitgeber sind gefordert, Risiken für die psychische Gesundheit im Rahmen der gesetzlichen Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsplätze zu berücksichtigen und die Arbeitsgestaltung und Unternehmenskultur so anzupassen, dass psychische Fehlbelastung möglichst vermieden, zumindest aber begrenzt werden. Aber allen muss klar sein, dass sich psychische Erkrankungen, weil sie meist maßgeblich durch außerberufliche Umstände bedingt sind, dadurch allein nicht hinreichend lösen lassen. Wir brauchen vor allem auch die Bereitschaft und die Eigeninitiative der Betroffenen sowie ein verbessertes Zusammenwirken der Sozialversicherungen und eine bessere Koordination ihrer Aktivitäten zur Versorgungsoptimierung. Ein abgestimmtes Zusammenwirken der Unternehmen mit den Sozialversicherungsträgern trägt dazu bei, Mitarbeiter mit psychischen Störungen vor Erkrankungen und Frühverrentung zu schützen und kann die Erfolgschancen bei der Re-Integration in den Arbeitsprozess erheblich verbessern.“ …

Die Pressemappe hat 100 Seiten. Die Arbeitgeber investieren hier viel Arbeit. Daran erkennt man die Brisanz des Themas. Die Auseinandersetzung damit ist sicherlich interessant. Ich habe dafür schon einmal ein Stichwort eingerichtet.
 
“Wir brauchen vor allem auch die Bereitschaft und die Eigeninitiative der Betroffenen.” Wer sind die “Betroffenen”? Ich höre oft von Arbeitgebung auch die Forderung nach mehr “Eigenverantwortung” der Mitarbeiter für ihre Gesundheit. Tatsächlich ist Eigenverantwortung wichtig. Aber Arbeitgeber, die ihrer eigenen Verantwortung nicht gerecht werden und seit 1996 versuchen, die Pflicht zum den Einbezug der psychischen Belastung in den Arbeitsschutz zu ignorieren, haben kein Recht, bei ihren Mitarbeitern Verantwortung einzufordern.
“Aber allen muss klar sein, dass sich psychische Erkrankungen, weil sie meist maßgeblich durch außerberufliche Umstände bedingt sind, [durch die Gefährdungsbeurteilung] allein nicht hinreichend lösen lassen.” Im Folgenden spreche ich zwei Argumente an, die Arbeitgeber häufig anführen:

  • Die Gefährdungsbeurteilung allein könne Probleme nicht lösen.
  • Psychische Erkrankungen seien meist maßgeblich durch außerberufliche Umstände bedingt.

Gefährdungsbeurteilung: Niemand behauptet, die Gefährdungsbeurteilung “alleine” könne “psychische Erkrankungen hinreichend lösen”. Gunkel impliziert wider besseren Wissens, dass solch eine Ansicht genug Bedeutung habe, dass man ihr widersprechen müsse. Das ist ein uralter Argumentationstrick. Gunkel weiß natürlich, dass die Gefährdungsbeurteilung nur einer von mehreren Schritten von in einem Kreislauf von Arbeitsschutzmaßnahmen ist. Beispiel:

  1. Gefährdungsbeurteilung
  2. Unterweisung
    (nach Schritt 1, AG und AN können aber auch andere Zeitpunkte vereinbaren)
  3. Festlegung von Maßnahmen gegen Fehlbelastungen
  4. Umsetzung der Maßnahmen
  5. Prüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen (danach wieder Schritt 1)
  6. Dokumentation (begleitend zu den Schritten 1 bis 5)

Außerberufliche Umstände: Unsinnig ist es, die Gefährdungsbeurteilung mit dem Hinweis auf “außerberufliche Umstände” abzuwerten. Ich nehme an, dass Alexander Gunkel das sogar weiß.
Um die Bedeutung verschiedener Ursachen für psychische Erkrankungen beurteilen zu können, muss man Belastungen außerhalb und innerhalb des Betriebes ersteinmal beurteilen wollen. Die Mitglieder der BDA weigerten sich jedoch jahrelang, mögliche arbeitsbedingte “Umstände” in der vorgeschriebenen Weise zu beurteilen – und tun nun so, als ob sie beurteilen könnten, welche Bedeutung diese “Umstände” im Verhältnis zu “Umständen” außerhalb ihres Verantwortungsbereichs hätten. Das ist dreist.
“Außerberufliche Umstände” gibt es, aber sie geben den Arbeitgebern ganz sicher nicht das Recht, ihre Pflicht zur Beurteilung “arbeitsbedingter Umstände” zu vernachlässigen. Dieses Recht hat sich die Mehrheit der Mitglieder der BDA seit 1996 jedoch einfach genommen und sich damit über das Gesetz gestellt. Die Arbeitgeber haben also nicht einmal ihre eigenen Hausaufgaben gemacht. Und nun wollen sie Lehren zur Gesundheit in den Betrieben erteilen. So sieht Chuzpe aus.

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