Aufsichtslaxheit

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13. November 2015, 18:52 Uhr
Unethische Anweisungen
Mitgefangen, mitgehangen
Wie man sich wehrt, wenn der Chef zu verstecktem Pfusch oder gar unverhohlenem Betrug auffordert. Die Einführung von Compliance-Vorgaben würde Klarheit schaffen.
Von Christine Demmer
Dass die Abgasmanipulationen bei Volkswagen von einem Ingenieur aus dem eigenen Unternehmen ans Licht gebracht wurden, hat manchen Berufskollegen zum Nachdenken gebracht: Was würde ich tun, wenn man mich anweist, etwas Strafbares zu tun, was ich nicht tun will?
Nicht nur Ingenieure bringt das in eine echte Zwickmühle. Felix Brodbeck sieht darin einen klaren Fall von Befehlsnotstand. “Das kommt vom Kostendruck und vom Starren auf die Quartalsergebnisse und daher, dass sich in vielen Branchen eine gewisse Aufsichtslaxheit breitgemacht hat”, sagt der Professor für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). […]

Ich bezweifle, ob Compliance-Vorgaben reichen. Dazu müssen Handlungsmöglichkeiten kommen, die angstfrei wahrgenommen werden können. Compliance-Abteilungen kämpfen nicht für ethische Sauberkeit im Unternehmen, sondern ihr Hauptaufgabe ist, dem Top-Management Gefängnisaufenthalte zu ersparen. Es geht vorwiegend um nüchtern kalkulierendes Risikomanagement, mit dem so viel Verantwortung wie möglich in untere Führungsebenen verlagert wird, oft aber nicht mit genügend Handlungsmöglichkeiten. Die mit dem Risiko begründeten Einkommensanteile des Top-Managements bleiben natürlich beim Top-Management.
Nun zur Aufsichtslaxheit: Man findet sie nicht nur beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), sondern auch die interne und externe Auditoren bei der angeblichen Selbstkontrolle des VW-Konzerns müssen zu unkritisch gewesen sein.
Bei den externen Zertifizierungsauditoren sah wohl die Deutsche Akkteritierungsstelle (DAkkS) nicht allzu kritisch hin. Ich mache sie für die Aufsichtslaxheit der Zertifizierungsauditoren mitverantwortlich. Das ist kein Wunder, denn im Gegensatz zum KBA ist bei der DAkkS die Lobby sogar ganz offiziell eingebaut. Die DAkkS wird

  • zu einem Drittel vom Wirtschaftsministerium kontrolliert,
  • zu einem weiteren Drittel vom BDI und
  • zum letzten Drittel von den Bundesländern.

Die DAkkS-GmbH als halbstaatliche Organ soll Zertifizierungsauditoren beaufsichtigen, z.B. für Audits nach den Normen ISO 9001 (Mindestanforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem), ISO 14001 (Umweltschutzmanagementsysteme), OHSAS 18001 (Arbeitsschutzmanagementsysteme) und ISO 50001 (Energiemanagementsysteme).
Die DakkS ist die halbprivatisierte Aufsicht der voll privatisierten Aufsicht. Das Zertifizierungsgschäft ist jedoch eine ziemliche Farce, siehe auch: Insider packt aus – Falschspiel im Zertifizierungsgeschäft.
Für sicherheitsrelevante elektrische/elektronische Systeme in Kraftfahrzeugen richtet sich VW nach der Norm ISO 26262. Da geht es zwar nicht so sehr um Schadstoffemissionen, aber um sichere Software (die man “Firmware” nannt, wenn sie fest in Steuersysteme eingebaut ist.) Hier muss also auch das Defeat Device geprüft worden sein. Wenn sie Auditierte und Auditoren aber zu nahe stehen, stellt keiner mehr wirklich kritsche Fragen.
Bei VW hat die private und behördliche Aufsich in einem Bereich versagt, in dem Abweichung zweifelsfrei erkennbar gewesen wären, wenn die Aufsicht und die Auditoren nur genauer hingesehen hätten. Wie sieht es dann ers in einem schwieriger beurteilebaren Bereich aus, wie dem Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz. Da faselte eine Ursula von der Leyen von strengen Strafen, aber in den 80% der Betriebe, die sich bis 2012 erfolgreich ihrer Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen entziehen konnten, wurde seit 1997 kein einziger Verantwortlicher bestraft.
Die Aufsichtslaxheit ist politisch gewollt. So wie das KBA bei VW im Abgasskandal, tragen die Gewerbeaufsichten und die sie beeinflussenden Politiker einen großen Teil der Verantwortung für den Erfolg der Unternehmen bei ihrem Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten.