Arbeitsschutzauditoren schützen zuerst den Arbeitgeber

Unternehmen können sich ihr Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) von externen Auditoren zertifizieren lassen. Das folgende Beispiel zeigt, wie ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter massiv bedrohen konnte ohne die sich daraus ergebende psychische Gefährdung dokumentieren zu müssen. Die Auditoren des Zertifizierungsunternehmens unterstützten den Arbeitgeber nämlich dabei, eine Erfassung und Beurteilung der vom Arbeitgeber verursachte psychische Gefährdung zu vermeiden. Man sieht: Der nun auch ausdrücklich im Gesetz geforderte Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz kann mit auf Arbeitgeberinteressen zugeschnittenen Auditstrukturen ausgehebelt werden. Die folgende Geschichte ist eine Fiktion. Könnte sie sich aber auch tatsächlich ereignet haben?
 
Der psychisch gefährdende Vorfall:
Arbeitnehmer AN wird mit arbeitsorganisatiroschem Prozess P fehlbelastet. Er meldet das dem Arbeitgeber AG. Arbeitgeber AG bedroht daraufhin AN mit einer dessen berufliche Existenz betreffenden Maßnahme B. AN fordert über Rechtsanwalt RA Rücknahme der Maßnahme B, ansonsten werde AN den AG verklagen. Betriebsrat BR unterstützt den AN und fordert ebenfalls Rücknahme von B. Nach 3 Monaten zieht AG die Maßnahme B tatsächlich zurück, denn er hätte sie vor Gericht nicht rechtfertigen können.
Sechs Kollegen von AN melden ebenfalls den Prozess P als fehlbelastend. Erst daraufhin ändert AG den Prozess P, der ja nun nicht mehr so einfach als individuelles Problem der Psyche von AN dargestellt werden kann. Die Verbesserung erfolgt zur Zufriedenheit von AN und Kollegen. Allerdings wird die vor einer Verbesserungsmaßnahme vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung für den Prozess P nicht durchgeführt (was ein Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz ist). Die durch die Prozessgestaltung vom AG verursachte Gefährdung bleibt also undokumentiert.
AN ist zwar zunächst erleichtert, musste allerdings die Bedrohung 3 Monate lang aushalten (der Urlaub in der Zeit war keine Erholung) und fühlte sich durch AG ziemlich verletzt. Nach Beendigung der Bedrohung treten starke Blutdruckschwankungen auf. Danach folgen innerhalb eines Jahres ingesamt 12 Wochen Arbeitsunfähigkeit, darin 6 Wochen in einer psychosomatischen Klinik wegen burnoutbasierter Depression. Es müsste also untersucht werden, ob die Erkrankung durch die von AG verursachte Bedrohung B und/oder entstanden ist und/oder ob eine bestehende Erkrankung dadurch verschlechtert wurden.
Die Vermeidung der Gefährdungsbeurteilung:
AG hatte sich für sein AMS zur Beachtung der folgenden Definitionen im Sinn der Begriffsbestimmung 3.9 in OHSAS 18001:2007 verpflichtet: Im Arbeitsschutz sind “Vorfälle” arbeitsbezogene Ereignisse, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. Arbeitsbedingte Erkrankungen sind erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden. AN fordert deswegen, die ihn damals bedrohende Maßnahme A als einen entsprechenden Vorfall einzustufen, der ihn hätte verletzen und/oder erkranken lassen können.
Betriebsrat BR im Betrieb des AG fragt entsprechend bei AG an. AG wendet sich an die von AG bezahlte Zertifizierungsgesellschaft Z und beschreibt Z diesen arbeitsschutzrelevanten (und damit mitbestimmungspflichtigen) Vorgang aus seiner Sicht. AN und BR werden davon nachträglich informiert, hatten also keine Gelegenheit, die Darstellung des AG ggf. zu korrigieren. Z teilt AG mündlich mit, dass AG den Vorfall nicht als Ereignis nach Def. 3.9 behandeln muss. Das bedeutet, dass nach Auffassung von Z die Bedrohung durch B den AN weder hätte psychisch verletzen noch psychisch erkranken lassen können.
AG hat also zusammen mit Z eine Gefährdungsbeurteilung der Bedrohung B vorgenommen, ohne den Betriebsrat z.B. bei der Beschreibung von Z beteiligt zu haben. AG hat damit die Mitbestimmung behindert und Z hat bei diesem Vergehen geholfen.
Betriebsrat BR fordert über AG eine schriftliche Stellungnahme von Z. Nach vier Monaten erhält er sie, kann ihr aber nicht entnehmen, wie AG den Vorfall gegenüber Z dargestellt hatte. (AG hatte bereits an anderer Stelle die Qualität seines AMS falsch beschrieben.) Der Stellungnahme kann man nicht einmal entnehmen, auf welchen konkreten Vorfall sie sich bezieht. Sie bestätigt nur, dass das Zertifizierung des AG nicht in Frage gestellt werde. Die Grundlage, auf der aufbauend Z urteilte, ist also weiterhin unbekannt.
AG hat übriges eine Auditaufgabe in einem anderen Bereich als dem Arbeitsschutz von Z auf einen Mitbewerber von Z übertragen. AG übt also auch Druck auf seinen Dienstleister Z aus. Z wird sich also bemühen, vorwiegend die Interessen des AG zu berücksichtigen. Die Arbeitnehmer haben das Nachsehen.
Kommentar:
Das klingt alles sehr kompliziert. Klar wird aber, dass mit der derzeitig möglichen Praxis des Zertifizierungsgeschäfts ein zertifiziertes Arbeitsschutzmanagement Arbeitgebern helfen kann, die Erfassungen arbeitsbedingter psychischer Gefährdungen erheblich zu erschweren. Das Zertifizierungsgeschäft ist zuerst Arbeitgeberschutz, und danach erst Arbeitnehmerschutz.
Es gibt zwar sorgfältiger arbeitende Zertifizierungsgesellschaften als Z, die auch die Mitbestimmung zu beachten versuchen, aber da der Arbeitgeber sich seinen selbst Zertifizierer aussucht und bezahlt, wird er den Zertifizierer aussuchen, der am wenigsten Kosten und Schwierigkeiten verursacht. Und für viele Arbeitgeber bedeutet Mitbestimmung eben “Schwierigkeiten”.
Beaufsichtigt werden die Zertifizierungsgesellschaften von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS), wenn sie bei der DAkkS akkreditiert sind. Die Gesellschafter der DAkkS sind (a) Das Bundeswirtschaftsministerium, (b) der BDI und (c) die Länder. Ich hoffe, dass die neue Führung des BMWi der DAkkS bei der Überwachung von Audits im Arbeitsschutz mehr Freiraum und Durchsetzungsfähigkeit geben wird. Es wäre außerdem gut, wenn das BMAS ein weiterer Gesellschafter werden könnte, denn die DAkkS muss ja Audits nicht nur im Interesse der Wirtschaft überwachen.
Behinderung der Mitbestimmung:
Ein großes Problem im Zertifizierungsgeschäft in Deutschland ist, dass dabei sogar eine Straftat möglich ist, wenn Betriebsräte an Arbeitsschutz-Audits nicht beteiligt werden. Der § 89 des Betriebsverfassungsgesetzes steht immer noch über Vertraulichkeitsvereinbarungen zwischen Zertifikator und Klient. Das Betriebsverfassungsgesetz darf hier nicht straflos ignoriert werden können. (Z vermeidet Betriebsratskontakt und möchte z.B. die Frage nicht beantworten, ob Audits “Besichtigungen” im Sinn des § 89 sind.) In den Niederlanden wird es den Unternehmen nicht so leicht gemacht, bei Audits ihres Arbeitschutzmanagementsystems die Mitbestimmung auszuschalten. Ich bitte die DAkkS, von den Niederlanden zu lernen.